Gegen die Weinpanscher.
Bekanntlich hat Landesausschuß Richter an sämmtliche Bezirksvereine und landwirthschaftlichen Kasinos ein vertrauliches Rundschreiben gerichtet, in welchem ersucht wird, dem Landesausschusse jene Wirthe und Weinmanipulenten bekannt zu geben, die im Verdachte stehen, Kunstwein auszuschänken oder zu erzeugen. Dem Anzeiger wurde Geheimhaltung seines Namens zugesichert und eine Bestrafung der schuldig Befundenen in Aussicht gestellt. Ein Weinhändler der Umgebung ließ sich kürzlich gegen tausend Eimer ungarischen Wein bringen; er wurde bei der Bezirkshauptmannschaft Tulln angezeigt, daß er „Kunstwein“ habe. Die Bezirkshauptmannschaft ließ unter Assistenz der Gendarmerie eine Probe des betreffenden Weines entnehmen, nachdem sich der Besitzer weigerte, eine solche zur Verfügung zu stellen. Die Weinhauer behaupten auch, daß viele Weinhändler der Gegend bis Krems ungarische Weine mit niederösterreichischen Weinen verschneiden und sie sodann als „Eigenbau“ nach Wien verkaufen. Jedenfalls wird durch derartige Manipulationen der gute Ruf der niederösterreichischen Weine stark geschädigt und nachdem die Weinhauer auf die Neuanpflanzung der Weingärten mittelst amerikanischer Rebunterlagen die größten Hoffnungen setzen, müssen sie trachten, daß ihrem Produkte das bisherige Vertrauen seitens der Konsumenten erhalten bleibe. Für den ganzen Wagram wurde vom niederösterreichischen Landesausschusse neuestens ein Landes-Schnittweingarten im Ausmasse von zehn Joch angelegt, der sämmtliche Weingärten des versuchten Weingebietes im Gerichtsbezirke Kirchberg am Wagram mit amerikanischen Rebunterlagen versehen soll.
(Kremser Zeitung vom 27.2.1898)

 

Kirchberg am Wagram.
An vielen Orten herrscht eine förmliche Manie, „Kunstwein“ zu entdecken; die Wirthe müssen sich förmlich fürchten, irgendwelchen Wein zu beziehen, da sie sofort in den Verdacht kommen, mit irgend einer „Kunstweinfabrik“ Beziehungen zu unterhalten. Durch eine derartige Corruptionsriecherei schädigt man den guten Ruf und Absatz von Weinen aus anderen Weingegenden, die ebenfalls eine große Menge armen Weinhauer haben.
(Kremser Zeitung vom 5.3.1898)

 

In der Kremser Zeitung vom 16.10.1898 wurde gegen einige Ortschaften am Wagram der schwere Verdacht des Weinpantschens mit Bleizucker erhoben. Sofort wurde Widerspruch dagegen erhoben:
Hoch lebe die edle Pantscherei!
So muß man unwillkürlich ausrufen, wenn heuer bei einem so reichlichen Lesen die Kunstwein-Fabrikation ärger betrieben wird, als in den verflossenen schlechten Jahren. Das Absdorfer Bahnmagazin strotzt von Ballen des Bleizuckers. Für Mallon, Engelmannsbrunn und Ottenthal wurden allein zwei Waggon solchen Zuckers bestellt. Und doch sind das nur die kleineren Orte – Königsbrunn und Unterstockstall sind, wie in anderen Sachen, auch in dieser Hinsicht voran. Man kann nur begierig sein, wie viel Waggons ungarischer Weine, die natürlich in Ungarn schon gepantscht sind, erst werden zugeführt werden und die dann als Neudegger, Riedenthaler, Ottenthaler in den Handel kommen. Unter solchen Umständen helfen die besten Kunstweingesetze nichts. Also nochmals: Hoch lebe die edle Pantscherei! Möchte doch den einigen Nimmersatten, die sich durch’s Pantschen bereichern, das Handwerk energisch gelegt werden. Da wäre ein Feld für die hochlöbliche „Land Zeitung!“
(Kremser Zeitung vom 16.10.1898)
Ottenthal (Zur Abwehr)
In der letzten Nummer der „Kremser Zeitung“ war eine Notiz „Vom Wagram“ enthalten, welche die Weinhauer von Mallon, Engelmannsbrunn und Ottenthal als großartige Weinpantscher hinstellt, die ganze Waggonladungen von Bleizucker zur Kunstwein-Fabrikation bestellt haben. Solche allgemeine Verdächtigungen müssen auf das Entschiedenste zurückgewiesen werden; denn sie sind geeignet, den guten Ruf dieser Ortschaften zu schädigen. Was speziell Ottenthal betrifft, so weiß hier kein Mensch etwas von einer Bestellung des Bleizuckers und von einer Kunstwein-Fabrikation. Es wäre sehr angezeigt, die Namen von solchen Bestellern und Weinpantschern in der Zeitung zu veröffentlichen, damit die weinkaufenden Wirte genaue Kenntnis von reellen und schwindelhaften Weinhauern hätten. Gott sei Dank steht Ottenthal in Bezug auf Weinpantscherei rein da und können die Herren Wirthe ihren Bedarf hier ohne Sorge und Benachtheiligung decken.
(Kremser Zeitung vom 23.10.1898)
 
 

Auch Mallon wollte eine Richtigstellung des Artikels:
„Unwahr ist, daß für ‚Mallon‘, Bleizucker bestellt wurde. Sollten einzelne Wirtschafts-Besitzer derartige Bestellungen gemacht haben, so verdienen diese für den Fall der unreellen Verwendung des Bleizuckers an den Pranger gestellt zu werden, aber es geht nicht an, durch eine derartige Pauschalverdächtigung den ganzen Ort, rep. dessen Bewohnerschaft in den Ruf der ‚Weinpantscherei‘ zu bringen und dadurch schwer zu schädigen“, Achtungsvoll Dr. Krassnigg
(Kremser Zeitung vom 6.11.1898)

Bleizucker, auch Blei(II)-acetat ist süß und gut in Wasser löslich. Trotz seiner Giftigkeit wurde Bleizucker bis zum 19. Jahrhundert als Zuckerersatz (Defrutum) verwendet – insbesondere wurde Wein damit gesüßt.
Auf welche Arten wurde Wein in früherer Zeit noch verfälscht?
Unter Verfälschung des Weines versteht man mit Recht alle diejenigen Verfahrensarten, durch welche derselbe nicht veredelt, sondern zum Nachtheile der Käufer mit Stoffen vermischt wird, die entweder geradezu der Gesundheit schädlich sind, oder womit wenigstens die Käufer, statt reinen Wein für ihr Geld zu erhalten, betrogen werden.
Weinverfälschung geschehen nun hauptsächlich:
  1. Durch Zusatz mineralischer Mittel, als: Blei, Kupfer, Schwefel u. dergl.
  2. Durch Beimischung vegetabilischer, d.h. Pflanzenstoffen, wie: Scharlei, Flieder, Cyder, besonders aber Alkohol, Rosinenextrakte, etc.
  3. Durch Färben der Weine mittelst Blauholz, Heidelbeeren, Fliederbeeren etc.
Von allen Verfälschungsmitteln ist eines der verderblichsten das Versüßten des Weines durch Bleizucker, doch ist wohl anzunehmen, daß dergleichen nirgends mehr, oder nur äußerst selten noch vorkommt. Die Vergiftung durch Blei kann indessen auch zufällig erfolgen, wenn Wein in zinnernen Gefäßen, die bleihaltig sind, stehen bleibt oder wenn beim Auswaschen der Flaschen mit Schrot Körner davon zurückbeleiben, und durch den Weine eine Zersetzung des Bleies eintritt…
Die Versetzung des Weines mit Salpeteräther, um ihn alt zu machen, kommt zwar eher vor, doch geschieht auch dieß gewiß nicht sehr häufig. Die Zunge muß hier einen unnatürlichen, auffälligen, platten Geschmack von wirklichem Alter unterscheiden. Häufig kommt dagegen die Verfälschung durch Schwefel vor. Um junge Weine haltbar zu machen, werden die Fässer sehr stark mit Schwefel eingebrannt. Dieß ist der Gesundheit nachtheilig, denn solche überschwefelte Weine nehmen den Kopf ein, erregen Trunkenheit und greifen die Nerven an. Das nothwendige Schwefeln der Fässer hat keinen nachtheiligen Einfluß, und kann nicht als Verfälschung angesehen werden. Außerdem können Verfälschungen mit Alaun, Kupfer, Kalk etc. geschehen, doch darf man auch davon annehmen, daß dergleichen zu den größten Seltenheiten gehört.
Weniger schädlich als mineralische Verfälschungen, aber auch häufiger sind die durch vegetabilische Substanzen. Der Scharlei oder das Muscatellerkraut wird in den Wein gethan, um ihm einen Muskatellergeschmack und Geruch zu geben. Die auf diese Art gewürzten Weine, welche sich besonders durch den vorstehenden unnatürlichen Geruch zu erkennen geben, verursachen Wallungen, Kopfschmerzen, Schwindel und greifen die Nerven an.
Fliederblüten werden in gleicher Absicht wie der Scharlei in den Wein gethan, und dadurch die Käufer getäuscht, wenn auch dieses Mittel der Gesundheit nicht nachtheilig ist.
Cyder (Obstwein) wird dem Wein beigemischt zur Vermehrung der Menge, um den Wein billiger zu machen, wie auch um den Geruch zu verstärken….
Am häufigsten werden die Weine in den Weinländern durch eigens zubereiteten Wein gefälscht. Dieser Zusatzwein wir erzielt, indem man dem Moste eine Quantität zerstampfte Rosinen, aufgelösten Candiszucker, Alkohol oder Gewürze zusetzt, welche Stoffe mit dem Moste vergären. …
Dieses hier angegebene Verfahren ist wohl zu unterscheiden von der Veredlung. Diese beabsichtigt nur, dem Weine die fehlenden Stoffe in möglichst naturgemäßen Verhältnissen zu ersetzen, und nicht das Publicum zu täuschen…..
So verwerflich als die unnatürlichen Mischungen ist das Färben des Weines, was mittelst Blauholzes, Fliederbeeren, Heidelbeeren und dergleichen geschieht. Solche gefärbte Weine, wenn sie auch nicht geradezu als schädlich zu betrachten sind, erfüllen wenigstens oft nicht den Zweck, weshalb sie angewandt werden. Wie oft gebrauchen z.B. kränklich Personen Rothwein gegen Durchfall oder dergleichen? Der gefärbte Wein hat natürlich nicht die dahin wirkenden Kräfte und verfehlt mithin seinen Zweck; aber es ist nicht dieß allein; die gefärbten Weine können sogar das Uebel, gegen welches echte Rothweine verordnet sind, verschlimmer, indem weiße Weine und namentlich solche gefärbte oft eine ganz entgegengesetzte Wirkung auf den Körper hervorrufen.
Es werden auch die Früchte des Schlehdorns angewendet, um dem Rothwein eine Art Medocgeschmack zu geben, was jedenfalls ebenso verwerflich ist. Man erkennt die gefärbten Rothweine nicht sowohl am Geschmack, als vielmehr an der Farbe selbst, welche immer eine gewisse bläuliche Bleiche hat, und außerdem auf porzellanenen und irdenen Geschirren einen färbenden Satz zurückläßt. Auch wird die künstliche Farbe durch eine Auflösung von essigsaurem Blau als grünlich-grauer Satz niedergeschlagen, und dadurch der Wein entfärbt.
Rothe Weine werden auch mit Alaun vermischt, damit die Farbe einen höhern Ton, der Wein einen zusammenziehenden Geschmack und mehr Dauerhaftigkeit erhalte.
Aepfelwein, der dem Traubenwein zugesetzt ist, läßt sich dadurch erkennen, daß man die Aepfelsäure auf chemischem Wege ausscheidet, da Aepfelsäure nie in reinem Traubenwein vorkommt, deren eigenthümliche Säure stets die Weinsäure ist.
(Der Practische Landwirt vom 15.4.1864, veröffentlicht in ANNO)
Die Verfälschungen des Weines – besonders solche mit gesundheitsschädlichen Stoffen - sollen auf das Strengste bestraft werden. Zusätze wie Bleizucker, Alaun und Schwefelsäure, die in früherer Zeit häufig angewendet wurden, kommen jetzt nur selten vor; dieselben lassen sich übrigens mit Sicherheit nachweisen. Zum  Gallisiren und Petiotisiren wird außer dem Rübenzucker auch Kartoffelzucker angewendet. Bei der Anwendung von raffinirtem Rübenzucker gelangen keine fremdartigen Substanzen in den Wein; bei der Anwendung von Kartoffelzucker hingegen bleiben die unvergärbaren Bestandteile des letzteren im Weine unverändert zurück, und dieser wir dadurch verunreinigt…
Eine Verfälschung, die sehr häufig betrieben wird, ist das Rothfärben von Weißweinen, um sie zu höherem Preise als Rothweine zu verkaufen. Wird das gesundheitsschädliche Fuchsin dazu verwendet, was leider auch in Wien nicht selten vorkömmt- wie dies an der k.k. chemisch-physiologischen Versuchsstation für Wein- und Obstbau zu Klosterneuburg durch Untersuchung von Wiener Schankweinen erwiesen wurde – so ist dies ein gemeiner, strafbarer Betrug.
(Wiener Landwirtschaftliche Zeitung vom 20.9.1879, veröffentlicht in ANNO)
Gallisieren: Versetzen des Weines mit Zucker
Petiotisieren: Die nach der erstmaligen Gärung verbliebenen Trestern etc. werden nochmals mit Zucker vergoren.
 
August 2020
Maria Knapp