Die Kremser Zeitung vom 15. Mai 1962 widmet der Überschwemmungskatastrophe in Ober-, Mitter- und Unterstockstall vom 9. Mai einen langen Artikel:
Heftiges Unwetter fordert Todesopfer
Als es am Mittwoch der vorigen Woche abends donnerte und leicht zu regnen begann, ahnte niemand eine Katastrophe. Erst nach 20 Uhr wurde der Regen immer heftiger, ein neues Gewitter zog auf. Zunächst fielen kleine Hagelkörner, dann folgte eine Pause. Die Leute begaben sich schließlich zur Nachtruhe, aus der sie jedoch nach 22 Uhr durch das wilde Tosen des hereingebrochenen Hochwassers geschreckt wurden. Das Wasser stürzte förmlich vom Himmel und wälzte sich gleich einem Wildbach durch den Ort. Niemand hatte gefürchtet, daß der Krampu-Bach, der erst vor drei Jahren reguliert wurde, einem Hochwasser nicht gewachsen sein könnte. Und doch war es so: Der Bach trat aus den Ufern, drang in die Häuser und Keller ein und drohte jeden mitzureißen, der sich auf die Straße wagte.
 
Vor 23 Uhr erreichte die Katastrophe in Unterstockstall den Höhepunkt. Das Wasser stand in einigen Häusern 1,5 m hoch. Zäune wurden umgedrückt, die Kraft des Wassers wurde immer wilder. Die Leute flüchteten auf Tische und Stühle oder auf die Dachböden. Das Unglück wurde dadurch noch gesteigert, daß sich Strohtristen und Reben am Geländer der viele neuen Brücken stauten.
 
Im Hause Burian in Oberstockstall, wo die 54jährige Gemischtwarenhändlerin Maria Picha wohnte, wirkte sich der Wasserdruck besonders verhängnisvoll aus. Die Frau wollte, nur notdürftig bekleidet, über den Hof laufen, um aus dem Stall Kaninchen zu retten. Vorher war es ihr noch gelungen, bis zum Bauch im Wasser watend, eine Ziege in Sicherheit zu bringen, die sie ins sichere Schlafzimmer holte. Als Frau Picha den Hof ein zweites Mal überqueren wollte, drückte das Wasser den Bretterzaun ein und die vorbeischießenden Wassermassen trieben die Frau ab. Niemand hörte ihre Hilferufe, niemand konnte ihr mehr helfen. Am nächsten Morgen fand man sie in den Gebüschen einen Kilometer unterhalb ihres Wohnhauses. Sie war völlig entkleidet und bereits tot.
 
Die sintflutartige Hochwasserwelle stürzte den gesamten Ort Oberstockstall in großes Unglück. Einige Landwirte stehen buchstäblich am Grabe ihrer Habe. Die Häuser Burian, Huber und Schmid wurden so arg unterwaschen, daß sie sofort geräumt werden mußten und nicht mehr bewohnbar sind. Tagelang arbeiteten die Feuerwehrmänner unter Hauptmann Genger und zivile Helfer fieberhaft, um sie abzupölzen und räumen zu helfen. Der Kirchberger Bürgermeister Johann Damböck erwies sich als besonderer Helfer. Er entsandte viele Leute seines Baubetriebes an den Katastrophenort, wo diese, zusammen mit den Feuerwehrmännern aus Oberstockstall, Mitterstockstall, Kirchberg, Neustift und Mallon, unter Lebensgefahr bei der Räumung die gefährdeten Objekte mitwirkten.
 
In rund 20 Keller der Oberstockstaller Häuser waren Wasser und Schlamm eingedrungen. 15 Wohnungen wurden total verschlammt. Zahlreiche Gänse und Hühner ertranken.
 
Der Landwirt Leopold Groll erklärte unserem Mitarbeiter, daß man seit Menschengedenken eine derartige Katastrophe nicht erlebte. Diesmal befürchtete man eine solche überhaupt nicht, da man sich auf den regulierten Bach verließ. Die Ingenieure hatten stets beruhigt und versichert, daß eine Überschwemmung des Ortes kaum noch möglich sein dürfte. Aber das neue Bett erwies sich als viel zu eng, das Hochwasser trat meterhoch über die Ufer und überschwemmte Brücken und Geländer. Auch der erst ausgebaute Güterweg Mayergraben wurde arg zugerichtet. Ein vor der Scheune des Landwirtes Trenker abgestellter Pferdewagen schwamm regelrecht davon. Traktoren und andere landwirtschaftliche Maschinen sind nach der Überflutung teilweise unbrauchbar geworden.
 
Zwischen Ober- und Mitterstockstall wurde 1954 ein Auffangbecken mit einem hohen Damm errichtet, das die unteren, am Krampu-Bach gelegenen Gemeinden schützen sollte. Am 9. Mai wurde der Wasserdruck so gewaltig, daß der Damm nach 23 Uhr an zwei Stellen immer tiefer einriß. Nun drang das Wasser in die Mühle Siderits. Im breiten Schwall ergoß sich der Bach dann gegen Unterstockstall, wo im Stall des Bürgermeisters Mörtl die Kühe bis zum Hals im Wasser standen.
 
An der Straße nach Oberstockstall stürzte ein Stück der Schloßmauer zusammen,  nachdem sich hier die Asphaltstraße gesenkt hatte. Größere Schäden entstanden auch in Großweikersdorf und Königsbrunn. Auch in Fels, Feuersbrunn und Wagram wurden Keller überflutet. Die Straße entlang des Wagrams wurde fußhoch vermurt. Die Äcker nördlich der Bahn glichen weiten Seen.
 
Kurz nach dem Unwetter erschien wiederholt der Tullner Bezirkshauptmann Dr. Forstner, um sich über das Ausmaß der Katastrophe zu informieren. Am folgenden Tag traf auch Landesrat Waltner ein. Er kündigte sofortige Hilfsmaßnahmen für jene armen Landwirte an, die ihre Häuser nicht mehr bewohnen können.
 
Pfarrchronik Kirchberg am Wagram
Zwei schwere Gewitter mit einem länger andauernden Regen führten zur Unwetterkatastrophe in Oberstockstall und Unterstockstall. - Von Hohenwart Groß Riedenthal Ottenthal kommend ergoß sich der Krampugraben als reißender Strom über Ober- Mitter- und Unterstockstall. Taubeneiergroße Hagelschloßen vernichteten einen guten Teil der Ernte - Sturm- und Hagelschäden am Kirchendach u. Pfarrhofdach. - Beim Retten der Haustiere fand Frau Maria Picha in den Fluten den Tod. Die Wassermassen trieben Frau Picha bis zur Mühle Siderits in Mitterstockstall. Erst im Morgengrauen wurde das Opfer gefunden. Total zerstört wurde die Gemischtwarenhandlung "Burian" Oberstockstall 57 (Haus muß niedergerissen werden!). Ebenso das Haus Hainzl-Schmidt Oberstockstall 54 wurde stark in Mitleidenschaft gezogen, auch Huberhaus Nr.17 mußte gepölzt werden. - Stark waren die Vermurungen bei Unterstockstall. Der Damm bei der Sideritsmühle ist geborsten. Feuerwehren u. freiwillige Helfer standen im pausenlosen Einsatz. Zum Teil waren die Straßen unpassierbar. - Arg war es auch im Hause Mörtl in Unterstockstall (vermurt!)
 
Im Amtsblatt des Tullner Bezirkes vom 15. Juni 1962 wurde ein Spendenaufruf veröffentlicht:
Niederösterreicherinnen und Niederösterreicher!In der Nacht vom 9. zum 10. Mai wurden weite Teile des Wein- und Waldviertels von einer Unwetterkatastrophe heimgesucht, für die es in der neueren Geschichte unseres Landes keine Parallele gibt. Innerhalb weniger Minuten überfluteten ungeheure Wassermassen ganze Gemeinden, vernichteten die Kulturen und beschädigten Wohnstätten und Wirtschaftsgebäude schwer! Auch Menschenleben sind zu beklagen. Der angerichtete Schaden ist in seiner Gesamtheit noch gar nicht abzuschätzen. Viele Landsleute haben ihr gesamtes Hab und Gut verloren.
Das Land ist bemüht, mit den zur Verfügung stehenden Mitteln die ärgste Not zu lindern und den so arg Heimgesuchten Hilfe zu leisten. Angesichts des furchtbaren Ausmaßes der Katastrophe stand es jedoch von vornherein fest, daß diese Mittel bei weitem nicht ausreichen können, um den gesamten Schaden wieder gutzumachen.
Die nö. Landesregierung wendet sich daher an alle niederösterreichischen Landsleute, durch ihre Spenden jenen, die während der Katastrophennacht ihre Habe und das Ergebnis harter Arbeit eingebüßt haben, zu helfen.
Niederösterreichische Landsleute stehen hilflos vor den Ruinen ihrer Wohnungen und Produktionsstätten; für jeden, den das Schicksal verschont hat, sollte daher Hilfeleistung eine selbstverständliche Pflicht sein.
Unterzeichnet von DDDr. h.c. Dipl.-Ing. Leopold Figl
Juni 2022
Maria Knapp