Unter den zahlreichen alten Dokumenten der Familie Delapina aus Kirchberg am Wagram befindet sich eine Karte der Passauisch-domkapitlischen Herrschaft Oberstockstall. Leider ist kein Datum angegeben, auch die Rückseite gibt keine weiteren Informationen preis.

Zur zeitlichen Einordnung

Das Bürgerspital, gestiftet von Pfarrherrn Paul Tschernitz, das bereits eingezeichnet ist, wurde 1687 erbaut.
Die Maria-Trost-Säule auf dem Weg nach Mitterstockstall, die 1679 errichtet wurde, ist eingezeichnet, 1682 wurde sie in eine kleine Kapelle integriert. Die Statue stand inmitten der Kapelle, die nicht viel höher war als diese, etwa 30 Menschen Platz bot und mit ihrem Gewölbe gleichsam an sie anstieß (also etwas über 3,25 m). Sie wurde daher wahrscheinlich nicht als Gebäude wahrgenommen. Die größere Kapelle entstand erst um 1770.
Im Jahr 1754 ist der bis dahin spitze gotische Kirchturm abgebrannt und durch die jetzige Kuppel ersetzt.
Neustift wird als Neÿstifft geschrieben. Nach 1750 wurde Großteils die heute übliche Schreibweise verwendet.
Das eingezeichnete Schloss Winkelberg verfiel ab ca. 1800.
Man kann davon ausgehen, dass die Karte um 1700 entstanden ist.
 
Als einziges Datum ist eine Revision am 5.3.1869 angegeben, mit dem etwas abschätzigen Vermerk:
Solcher Instrumente bediente sich die K.K. Staatsgüter-Verwaltung.
Die Beschriftung auf der Rückseite ist nur sehr schwer leserlich und könne heißen:
Landschaft Mappe
No 1
Oberstockstall
HartldM
 

Die Herrschaft Oberstockstall

Die Urpfarre St. Stephan ob Wachrain (Kirchberg) gehörte zum Domkapitel Passau und in Oberstockstall stand der Pfarrhof dazu. Er war Sitz der meist adligen Domherren aus Passau und außerdem Sitz der Grundherrschaft des Domkapitels, das im Wagramland umfangreiche Besitzungen hatte.
Zum Besitz gehörten Lehen in Oberstockstall, Kirchberg am Wagram, Mallon, Ameisthal, Hart (bei Wullersdorf), Diepersdorf, Glaubendorf, Rohrbach, Feuersbrunn, Neustift im Felde, Winkl, Inkersdorf und Göllersdorf.
Die Ortsobrigkeit besaß die Herrschaft in Oberstockstall, Kirchberg, Mallon und Ameisthal, das heißt, ihr gehörten dort die Mehrzahl der Lehen. Oberstockstaller Untertanen allein gab es nur Kirchberg und in Mallon, in den anderen Ortschaften waren mehrere Grundherrschaften vertreten.
Das Bestreben der Herrschaft ging dahin, alle Untertanen in dem wichtigen Ort Kirchberg am Wagram unter ihre Ortsobrigkeit zu bringen. Endgültig gelang dies 1580. In diesem Jahr tauschte Christine, die letzte Hagersche Erbin von Winkelberg, die mit Andre Räwein von Kleinwetzdorf verheiratet war, sechs Kirchberger Untertanen-Lehen gegen den halben Teil Getreide und Weinzehent zu Kleinwetzdorf und den halben Getreidezehent zu Glaubendorf.
Pfarrer Ignaz Scheiger (1799 – 1835) stand der Pfarre während der Napoleonischen Kriege vor und verlor 1803 durch die Auflösung der geistlichen Fürstentümer den Oberstockstaller Pfarrgutshof mit allen Pfarrgründen. Das Gut wurde Eigentum der Hofkammer, kam dann für kurze Zeit in den Besitz der Nationalbank und wurde später von der Familie Salomon aus Stein gekauft.

Die Karte ist aus Übersichtsgründen in zwei Teile zerlegt worden. Sie ist nicht wie heute üblich nach Norden, sondern nach Süden ausgerichtet, sie führt von Winkl am oberen Rand nach Norden zum Schloss Winkelberg ganz unten.
 
 
Oberer Teil
 
 
Das Hauptaugenmerk der Karte liegt auf der Lage der Grenzsteine zwischen den verschiedenen Orten, deren verbindende Linien mit genauen Längenangaben versehen sind. Der Text:
  1. Ein Schandstain, alwo die Und.stockstall. Closter Andreische Freyheit abgehet, die Kürchberger und Neystüfterische Freyheit angränzen.
  2. Der Kürchberger und Dörffler Dibstain, alwo beede orth allein das Jus haben ihre maleficanten dem LandtGhut zu überführen. Dieser Stain stehet über den Weeg gegen Dörffl 4 Schuch weith.
  3. Des Passau.Thum Capitl.  Markhts Kürchberg Freyheits Stain miten auf dem fahrt weeg wo … schlag stehed.
  4. Wo Kürchberg die Riche(?) nimbt in berechnung ihrer Freyheit.
  5. Der Neystüffter, undt Dörffler Grass und ...Freyheits Stain mitten auf Georg Gfallers Ackher nechst den 12 Jochen stehend.

 

Diebsteine standen an der Gemeinde- oder Gerichtsbezirksgrenze, wo die Malefikanten (Übeltäter), die schwere Verbrechen wie Mord, Einbruch, Raub, Brandlegung, Totschlag, Notzucht oder Ehebruch begangen hatten, an das Landgericht (II. Instanz), das Höchstgericht oder das Blutgericht übergeben wurden.
Die Grenz- und Diebsteine mit der Maßangabe am unteren Rand in Klaftern. 
 
Am oberen Ende der Karte, also ganz im Süden, ist Winkl (Winkhl) eingezeichnet. Bei dem Turm dürfte es ich um das Gebäude des ehemaligen Freihofes (jetzt Winkl 42) gehandelt haben, denn von diesem wird in der Josephinischen Landesaufnahme noch um 1780 berichtet:
Das kleine Schloß oberhalb dem Dorf ist solide, so wie die unterhalb liegende Kirchen, der Kirchhof aber von Brettern das Schloß dominiret das Dorf, und die Gegend, die Kirche die an der Donau liegende Gränz, und Abdeckerhaus.
 
Rechts daneben befindet sich Neustift (Neÿstift). Hier wurde nach dem Ende der großen Pestepidemie im Jahr 1679 eine Kapelle errichtet, die 1681 vollendet war. Im Bild sieht man ein höheres Gebäude, bei dem es sich um diese Kapelle handeln könnte.
 
 
 
Unterer Teil
 
 
Unten links (im Norden) befindet sich Schloss Winkelberg, das nach der Auflösung des Jesuitenordens (Auflösung 1773) als Besitzer um 1800 an die Staatsgüteradministration fiel und von dieser weitgehend verfallen lassen wurde.
Schräg rechts davor befindet sich das Wirtschafts- und Verwaltungsgebäude, hier Mayrhäusl, später Schloss Winkelberg genannt und heute ein Weingut.
Das Haus mit drei Arkadenbögen rechts davon war öd (das weitere ist unleserlich).
Bei dem großen Gebäude wieder schräg rechts dahinter handelt es sich um den damaligen Kirchberger Pfarrhof. Die kleinen Häuser daneben symbolisieren den Ort Oberstockstall.
Die Säule südlich davon ist wahrscheinlich das heute Wirtskreuz genannte Denkmal, das aus dem 16./17. Jahrhundert stammt. Ab 1777, aber wahrscheinlich schon früher, stand daneben ein Wirtshaus.
Das auffälligste Gebäude am Bild ist die Pfarrkirche St. Stephan, die damals noch einen spitzen Turm hatte. Daneben befand sich das Wohnhaus der Kooperatoren (Kapläne), das auch als Schulhaus genutzt wurde – links davon die oben erwähnte Maria-Trost-Säule.
Südlich der Kirche stand das Paadhauß, in dem der Bader seiner Arbeit nachging.
Von dem Haus schräg südlich  kann man aufgrund der nur mehr schlecht leserlichen Schrift „….Häusl“ erkennen. Es dürfte sich dabei um das Haus gehandelt haben, das Dr. Eiselt in seiner Dissertation folgendermaßen beschreibt: Dazu kommen noch als Bürger, erstmals bei der Theresianischen Fassion erwähnt, die Weingartenhauer Johann Andre, Johann Danzer und Franz Erndl, die ein „Patzenhäusl“ am Rande der Ortschaft bewohnen.
Der Straße nach links Richtung Unterstockstall folgend, befindet sich wiederum eine Säule. An dieser Stelle wurde viele Jahre später der Köck-Park errichtet.
Der Straße nach rechts folgend sieht man das Tschernitz-Spital, in dem Ortsarme untergebracht waren, daneben ein Haus, dem bei der Revision der Name Prosel beigefügt wurde. Dieser Name ist auf dem Haus bis heute erhalten geblieben. Darunter steht Doppl, wie der Ortsteil heute noch heißt. Beim Haus rechts daneben könnte es sich um das jetzige Haus der Familie Zwickl handeln – südlich davon steht wieder eine Säule.
Wieder südlich steht eine Mühle, deren Name nicht zu entziffern ist.
Die heutige Kremserstraße wurde Langenloiser Straße, Hauptstraße bzw. Straß nach Englmansprun genannt.
Die eingezeichneten Äcker gehörten zur Dorotheer, Winkelberger und Passauer Freiheit.
Links von Kirche und Straße befand sich der Prunberg, mit einer Wasserquelle, darunter der Baumgarten. Südlich der Langenloiser Straße lagen die Hausgärten, links davon Äcker der Herrschaft St. Andrä (Unterstockstall). Der Name der Gärten rechts der Straße nach Neustift ist unleserlich, darauf folgen die Krautgärten, daneben die Kirchberger Gärten. Rechts der Kirche befanden sich 5 Joch Rossäcker, die zur Passauischen Verwaltung gehörten.
 
November 2022
Maria Knapp