NÖ Landesarchiv, St. Pölten

Die Landräte der jeweiligen Kreise, die man mit den heutigen Bezirkshauptmannschaften vergleichen kann, mussten von November 1941 bis März 1945 monatliche Berichte an den Reichsstatthalter in Wien senden. Ihre Informationen erhielten sie in erster Linie von den Gendarmerieposten.

Da diese Berichte durch die Hände verschiedener Personen gingen, wurde der Inhalt je nach Anschauung teilweise Verändert. Der Bericht, den wir letztlich vor uns haben, ist also durch mehrere Filter verzerrt und verfärbt und kündet nur mit vielfältigen Brechungen von vergangenem Geschehen. (NÖ Landesarchiv, Handbuch für Heimat- und Familienforschung)

Der Landrat des Kreises Tulln, 9. Jänner 1942

An den Herrn Reichsstatthalter
in Niederdonau in Wien, Herrengasse 11 – 13

Betrifft: Lagebericht für den Monat Dezember 1941.

  1. Politische Lage:

    Der Kriegseintritt der USA, der zwar auf Grund des bisherigen Verhaltens dieses Staates und der sonstigen Vorzeichen erwartet werden mußte, sowie von größeren Teilen der Bevölkerung auch gefaßt aufgenommen wurde, hat doch vor allem bei den landwirtschaftlichen Kreisen eine kleinmütige Stimmung ausgelöst, da dadurch die Hoffnung auf eine baldige Beendigung des Krieges vorderhand begraben werden mußte. Weitere Befürchtungen sind jedoch nicht ausgesprochen worden, da diese Tatsache auf die gegenwärtige militärische und wirtschaftliche Lage keinerlei Einfluß ausüben kann. Mit sichtlicher Freude war dagegen die Kampfgemeinschaft mit Japan aufgenommen worden, da durch dessen glänzende Waffenerfolge eine weitgehende Ablenkung und Beanspruchung der angelsächsischen Mächte in unmittelbarem Gefolge steht.

    Hingegen sickerten im Laufe der 2. Hälfte des Monates Dezember verschiedene Mitteilungen, die augenscheinlich aus Kreisen der Wehrmacht stammten, durch, daß sich die Lage in Rußland verschlechtert habe. Es wird von zahlreichen Erfrierungen bei den Deutschen Truppengattungen gesprochen und damit im Zusammenhange gerügt, daß die Wollsachensammlung viel zu spät durchgeführt worden sei, obwohl immer verlautet wurde, daß „General Winter“ der deutschen Wehrmacht nichts anhaben könne. Die Opferfreudigkeit der Bevölkerung war jedoch in jeder Weise zufriedenstellend, da das Ergebnis in meinem Landkreis über dem Reichsdurchschnitt liegt.

    Staatsfeindliche Umtriebe sind im Berichtsmonat nicht wahrgenommen worden. In Kirchberg /Wgr. wurde nun abermals an der Amtstafel der Gemeinde ein Anschlag angebracht, welcher Schmähungen gegen den Ortsgruppenleiter Anton Pöltl enthielt. Die Nachforschungen nach den unbekannten Tätern sind leider neuerdings ergebnislos geblieben.

    Die fremdländischen Arbeiter haben im allgemeinen zu keinen Klagen Anlaß gegeben. Hinsichtlich der polnischen Zivilarbeiter wird jedoch weiterhin Beschwerde geführt, daß diese wenig Arbeitslust zeigen und sich über die versagten Beurlaubungen beklagen, wenngleich auch bei dieser Gruppe fremdländischer Arbeitskräfte eine langsame Gewöhnung an Zucht und Ordnung festzustellen ist.

  2. Wirtschaftliche Lage:

    Die günstige Witterung in der 1. Hälfte des Monates Dezember ermöglichte der landwirtschaftlichen Bevölkerung, die restliche Ernte zum größten Teil hereinzubringen und zum Teil die Felder für die neue Ernte zu bestellen, sodaß der Anbau für das kommende Jahr hinsichtlich der Wintersaat im großen und ganzen sichergestellt ist.

    Die Getreideablieferung kann zur Zeit als zufriedenstellend bezeichnet werden.

    Um die Knappheit an Futtermitteln wenigstens teilweise zu beheben, sind im Berichtmonat große Mengen Kleie zur Verteilung gebracht worden.

    Die Eieranlieferung ist weiterhin schlecht. Der notwendige Bedarf muß durch zusätzliche Belieferung gedeckt werden. Bei der letzten Hühneraufnahme ist vielfacht Kritik geäußert worden. Es wird bemängelt, daß eine umfangreiche Eierablieferung pro Huhn festgesetzt wurde, während auf der anderen Seite Futtermittel in nicht genügender Menge zur Verfügung stehen. Der Bedarf an Fleisch und Fett war nach Maßgabe der zugebilligten Mengen gedeckt. Dies trifft auch für die Kartoffelversorgung zu. Bezüglich dieses  Verbrauchsgutes konnten größere Mengen nach Wien zur Ablieferung gebracht werden. Die Versorgung mit Mangelgemüse muß weiterhin als schlecht bezeichnet werden. Vor allem fehlt es an Zwiebel und Knoblauch. Letzteres trifft auch für Obst zu.

    In letzter Zeit mehren sich die Gerüchte, daß der Schwarzverkehr im Landkreis immer mehr zunehme, wobei auch überhöhte Preise gefordert und bezahlt werden sollen. Die Gendarmerieposten sind deshalb neuerlich beauftragt worden, dem Schleichhandel ein unablässiges Augenmerk zuzuwenden.

    Bei mehreren Haushaltartikeln macht sich in letzterer Zeit ein völliger Aufbrauch der Vorräte bemerkbar. Hiezu kommt noch, daß die nachgelieferten Waren trotz gleichbleibender Preise an Güte stark abgenommen haben.

    Viele Arbeiter der Donau-Chemie in Moosbierbaum führen Klage, daß sie mit einem Wochenlohn von 25,- bis 30,- RM ihren Lebensunterhalt bestreiten müssen, obwohl die Lebenshaltung zum Teil eine abermalige Teuerung erfahren hat.

    In Vertretung…

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     (Anschrift jeweils dieselbe)

    Betrifft: Lagebericht für den Monat November 1942

  1. Politische Lage:

    Staatsfeindliche Umtriebe sind im Berichtsmonat November nicht festgestellt worden.

    Die Ereignisse in Nord-Afrika und Süd-Frankreich werden von der hiesigen Bevölkerung mit Interesse verfolgt, doch wird die Ausweitung des Kriegsschauplatzes als eine wesentliche Verlängerung des Krieges angesehen. Arbeitgeber französischer Kriegsgefangener stehen diesen seit den letzten Ereignissen in Frankreich mit Misstrauen gegenüber. Französische Kriegsgefangene nahmen die Nachricht über die Besetzung Südfrankreichs durch deutsche und italienische Truppen mit Unmut auf. Auflehnung oder Arbeitsverweigerungen dieses Gefangenen fanden jedoch nicht statt.

    Durch den Masseneinsatz fremdvölkischer Arbeiter einerseits, und der Abwesenheit eines Grossteiles der männlichen Einwohnerschaft von der Heimat andererseits, befürchten Teile der Bevölkerung, dass die Untertänigkeit der Fremdvölkischen nicht fortgesetzt weiterbestehen werde. In der Landwirtschaft wurde durch den Einsatz von ausländischen Arbeitern ein wesentlicher Ersatz geschaffen. Im Gewerbe wird hingegen Klage geführt, dass grosser Mangel an Fachkräften bestehe, der zum Teil dadurch ausgeglichen werden könnte, indem ausländische Facharbeiter, die derzeit nur zu Hilfsarbeiten eingesetzt sind, ausgesucht und den Gewerbebetrieben zugeführt würden.

    Arbeitsflucht fremdvölkischer Arbeiter, namentlich russischer Zivilarbeiter, hat sich im gegenwärtigen Berichtsmonat in vielen Fällen ereignet. Der Grund der Flucht sei nach Angabe der Aufgegriffenen mangelhafte Verpflegung.

    In zwei Fällen wurden Personen deutsche Staatsangehörigkeit wegen vertrauten Umganges mit franz. Kriegsgefangenen der Geheimen Staatspolizei in St. Pölten zur Anzeige gebracht.

    In konfessioneller Hinsicht hat sich keine Veränderung gegenüber den Vormonaten ergeben.

    Die Stimmung der Bevölkerung ist im allgemeinen als unverändert zu bezeichnen.

  2. Wirtschaftliche Lage:

    Infolge äusserst günstiger Witterung ging der Anbau der Wintersaat gut vonstatten. Bei weiterer, halbwegs günstiger Witterung ist anzunehmen, dass die Saaten den Winter gut überstehen werden. Teilweise ist beträchtlicher Mäuseschaden festzustellen.

    Der Bestand an Futtermitteln ist sehr gering und durch die verhältnismässig hohe Ablieferungspflicht an Gerste noch mehr geschmälert worden.

    Die Kartoffel- und Hackfruchternte ist in vollem Umfange eingebracht. Der Ernte entsprechend, ist die Ablieferung von Weizen gut, die des Roggens hingegen verhältnismässig gering.

    Der Eigenbedarf des Kreises an Fleisch ist voll gedeckt. Die Überschüsse werden an die Grosstädte abgegeben.

    Obstzuteilungen an die Zivilbevölkerung erfolgten im Berichtsmonat nicht. Das einige vorhandene Obst wurde an die Lazarette und Grosstädte verteilt. An letztere zur Beteilung der Kleinkinder.

    Der Versorgung mit Gemüse ist ausreichend.

    Viele Arbeiter, insbesondere der Fabrik Moosbierbaum führen Klage, dass sie mit einem Wochenlohn von 25 bis 30 RM ihren Unterhalt nicht bestreiten können.

    Wie schon in meinem Bericht v. 8. Oktober 42 erwähnt, herrscht im Kreise Tulln eine grosse Wohnungsnot. Es ist in vielen Fällen nicht möglich, kinderreiche, äusserst wohnungsbedürftige Volksgenossen in halbwegs menschenwürdigen Räumen unterzubringen.

    Die wirtschaftliche Lage ist im allgemeinen als unverändert gegenüber den Vormonaten zu bezeichnen.

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    Betrifft: Lagebericht für den Monat Dezember 1942

  1. Politische Lage:

    Staatsfeindliche Umtriebe sind im Berichtsmonat Dezember nicht vorgekommen. Die Stimmung der Bevölkerung hat sich gegenüber den Vormonaten nicht wesentlich verändert. Auch in konfessioneller Hinsicht ist die Lage ruhig.

  2. Wirtschaftliche Lage:

    Die Versorgung mit Brotgetreide war am abgelaufenen Monat vollkommen entsprechend. Die Hoffnungen für die kommende Ernte sind bisher ebenfalls sehr zufriedenstellend zu nennen, da die Witterung den Wintersaaten sehr günstig ist.

    Die Versorgung mit Futtermitteln lässt sehr zu wünschen übrig. Es mangelt in manchen bäuerlichen Betrieben bereits an dem notwendigen Heu und Stroh.

    Die Kartoffelversorgung ist im Berichtsmonat Dezember klaglos verlaufen.

    Der Eigenbedarf an Fleisch ist nach wie vor voll gedeckt; die Weihnachtszulage machte keinerlei Schwierigkeiten. Obstabgabe erfolgte wieder nur in unzulänglicher Weise. Die Versorgung mit Gemüse war noch ausreichend.

    Viele Arbeiter, insbesondere die der Fabrik Moosbierbaum, klagen über zu geringe Entlohnung, da sie mit einem Wochenlohn von 25 bis 30 RM ihr Auslangen nicht finden können.

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    Betrifft: Lagebericht für den Monat Jänner 1943

  1. Politische Lage:

    Staatsfeindliche Umtriebe haben sich im gegenständlichen Berichtsmonat nicht ereignet. Die Ereignisse an der Ostfront (Stalingrad) haben zweifellos insbesonders bei den Bestgesinnten eine gewisse gedrückte Stimmung aufkommen lassen, doch kann andererseits wieder gesagt werden, dass Menschen, die bisher den Kriegsereignissen mit minderer Teilnahme gegenüberstanden, nunmehr auch erkannt haben, dass dieser Krieg auch sie etwas angeht. Die bolschewistische Gefahr wird nun doch von dem Grossteil der Bevölkerung als eine Drohung angesehen, welche unter Zurückstellung von Sonderinteressen gemeinsam bekämpft werden muss.

  2. Wirtschaftliche Lage:

    In Wirtschaftlicher Hinsicht hat sich nichts wesentliches geändert. Die Versorgung mit Nahrungsmitteln erfolgte verhältnismäßig klaglos.

    Die Wohnungsnot im Kreise Tulln ist nach wie vor ungeheuer gross. Vielleicht könnte durch die angekündigten Massnahmen der Geschäftsschliessungen, hier endlich eine Milderung des Zustandes geschaffen werden, indem einige der vielen Büros in die Räume der Geschäfte übersiedeln würden, wodurch die dzt. als Kanzleiräume dienenden Wohnungen ihren eigentlichen Zwecken wieder zugeführt werden könnten.

    Die Einführung der Arbeitsdienstpflicht wird als Erfordernis der Zeit anerkannt und hat in weiteren Kreisen der Bevölkerung eine lebhafte Genugtuung ausgelöst. Es muss jedoch schon jetzt gesagt werden, dass eine ungleichmässige Durchführung oder zaghaftes Vorgehen wenig Verständnis finden würde und den erfolgten Stimmungsauftrieb leicht in das Gegenteil verkehren könnte.

    Wie mir bekannt ist, sollen zur Ausrüstung der Heimatflak im Fabriksbetrieb Mossbierbaum dortselbst 15 Flakkanonen (Kalieber 2 cm) eingestellt werden. Ich möchte nicht verabsäumen darauf hinzuweisen, dass es mir nicht unbedenklich erscheint, eine so grosse Anzahl dieser ausgezeichneten Schnellfeuerwaffen dort zu massieren. Der gesamte Arbeiterstand dieses Werkes, soweit er nicht fremdblütig ist, wird zur abwechselnden Bedienung der Geschütze an diesen ausgebildet werden müssen. Bei dem ständigen Wechsel in der Gefolgschaft und deren bunter Zusammensetzung aus verschiedenen Gegenden und Gauen kann aber wohl ein positives Gutachten über die politische Zuverlässigkeit aller dieser Menschen schwer abgegeben werden. Abgesehen davon sind neben dieser deutschen Gefolgschaft im Verhältnis von ca. 8 : 1 tausende fremdvölkische Arbeitskräfte (22 Nationen) auf der Werksanlage tätig und wären die Folgen wohl sehr ernsthafte, wenn eine grössere Gruppe dieser Menschen sich nach vorgängiger Verabredung schlagartig in den Besitz dieser Waffen setzen würde, welche an sich nicht so schwer zu bedienen sind. Entsprechende zuverlässige Wachmannschaften für die Geschütze wären daher wohl sehr rätlich.

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    Lagebericht für den Monat Mai 1943

  1. Politische Lage:

    Staatsfeindliche Bestrebungen sind im abgelaufenen Monat nicht wahrgenommen worden.

    Die Stimmung innerhalb der Bevölkerung ist als gut zu bezeichnen. Nach dem Zusammenbruch der Afrikafront war allerdings eine merkliche Bestürzung zu bemerken, die inzwischen einem gespannten Erwarten hinsichtlich der kommenden Dinge Platz gemacht hat. Abgesehen von den vereinzelten Nörglern und Besserwissern wird die allgemeine Kriegslage keiner besonderen Diskussion unterzogen. Der totale Arbeitseinsatz dürfte sich auch hier günstig auswirken, da nunmehr jedermann mit sich selbst genug zu tun hat.

    Die Einquartierung von Volksgenossen aus den luftgefährdeten Gebieten ist noch im Zuge. Die Schwierigkeiten, die sich da und dort ergeben, werden in tatkräftiger Zusammenarbeit zwischen Partei und Verwaltung bereinigt. Abgesehen von einzelnen Zwischenfällen gestaltet sich das Zusammenleben der Volksgenossen aus dem Gau Essen mit der Bevölkerung des Kreises zufriedenstellend.

    In konfessioneller Beziehung ergab sich kein Anstand. Der Besuch der religiösen Übungen jedoch nimmt immermehr zu. Eine versteckte politische Betätigung der Kirche ist wohl gefühlsmäßig zu bemerken, kann jedoch nicht nachgewiesen werden.

  2. Wirtschaftliche Lage.

    Der Stand der Feldfrüchte ist günstig. Die kalten Nächte haben den Obstkulturen einigen Schaden zugefügt. Allgemein ist mit einer guten Ernte zu rechnen. In der Versorgung mit Lebensmittel ergab sich kein Anstand. Die bäuerliche Bevölkerung klagt über geringe Preise für die landwirtschaftlichen Produkte. Der Erlös steht mit der aufgewandten Mühe und Arbeitskraft in keinem Einklang. Das Hamsterunwesen entwickelt sich zu einer richtigen Landplage. Besonders an Sonntagen ist ein reges Hamstern zu bemerken. Die Hamsterer legen bei der Verfolgung ihrer Ziele eine Hartnäckigkeit an den Tag und bezahlen jeden geforderten Preis. Im zunehmenden Maße wird statt Geld Tauschware angeboten. Die Personenzüge vom Samstag bis Montag sind durchwegs überfüllt, das mitgeführte Gepäck geht dem Umfange nach weit über das normale Ausmaß hinaus. Der Ablieferungspflicht wende ich erhöhtes k zu und die Ablieferungsmenge selbst wird genauest überprüft und eventuell richtiggestellt.

    In Vertretung:

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    Lagebericht für den Monat August 1943

  1. Politische Lage.

    Staatsfeindliche Bestrebungen wurden im Berichtsmonat nicht wahrgenommen. Im Werk Moosbierbaum der I.G. Farbenindustrie wurde an einer Rohrleitung ein Sabotageakt verübt, der das Werk 2 auf einen Tag stillegte. Hiebei kommt jedoch als Grund der Tat nur die Absicht in Betracht, damit einen freien Samstag-Nachmittag zu erzielen.

    Die Stimmung innerhalb der Bevölkerung ist gedrückt. Kriegsmüdigkeit macht sich bemerkbar. Es scheint, daß feindliche Sender gehört werden, doch konnte bis jetzt kein Schwarzhörer bezw. Feindhörer eruiert werden. Ausländische Zivilarbeiter geben immer wieder zu Klagen Anlaß. Arbeitsvertragsbrüche sind an der Tagesordnung.

    Bezüglich der Stimmung wäre noch zu erwähnen, daß gerade Frontsoldaten die größte Siegeszuversicht zur Schau tragen, und aus der Heimat sehr gemischte Gefühle an die Front mitnehmen. Unterverantwortliche Volksgenossen verbreiten Gerüchte über eine bevorstehende Aktion gegen England. Die einen sagen, es werden Raketen gebaut, die anderen erklären wieder, es seien viele japanische Flieger an der Kanalküste zusammengezogen, die gegen England starten werden. Derartige Gerüchte und Redereien bieten nicht nur dem Feind Anhaltspunkte, sondern erwecken auch innerhalb der Bevölkerung falsche Hoffnungen.

  2. Wirtschaftliche Lage.

    Die Ernte wurde bei gutem Wetter eingebracht und wird allgemein als mittelgut bezeichnet. Infolge der langen Trockenheit ist die Grünfutterlage sehr schlecht. Gemüse gibt es gleichfalls sehr wenig. Die neuerliche Herabsetzung der Rauchwaren wird allgemein als sehr hart empfunden. Der Schleichhandelspreis für Zigaretten soll dem Vernehmen nach bereits bis zu 1,-- RM pro Stück gestiegen sein. Matrosen der Donaufrachtdampfer sollen von Ungarn herauf Rauchwaren schmuggeln und teuer verkaufen.

    In Vertretung:

    Gez. Dr. Bruno Schuppler eh.

    Ob.Reg.Rat  

    Beglaubigt:

    Jäger

    Kreisinspektor.

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    Lagebericht für den Monat September 1943.

  1. Politische Lage.

    Staatsfeindliche Bestrebungen wurden im Berichtsmonat nicht wahrgenommen. Im Werk Moosbierbaum der I.G. Farbenindustrie ereignete sich neuerlich ein Sabotageakt. Die Weichenanlage eines Fabriksgeleises wurde durch 2 faustgroße Steine verklemmt. Nur der Aufmerksamkeit eines deutschen Arbeiters ist es zu verdanken, daß kein größeres Unglück bezw. daß kein größerer Schaden entstand. Die Fahndung nach den Tätern blieb bisher erfolglos.

    Die Stimmung innerhalb der Bevölkerung hat sich gegenüber dem Vormonat nicht geändert.

    In konfessioneller Beziehung hat sich kein Anstand ergeben.

  2. Wirtschaftliche Lage.

    Die Ernte wurde bei gutem Wetter eingebracht und teilweise bereits ausgedroschen. Die Kartoffelernte läßt sehr zu wünschen übrig und steht der Ertrag weit hinter dem des Vorjahres. Die Weinernte verspricht dieses Jahr sehr reich zu werden.

    In der wirtschaftlichen Versorgung der Bevölkerung haben sich lediglich in der Versorgung mit Gemüse Schwierigkeiten ergeben.

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    Lagebericht für den Monat November 1943.

  1. Politische Lage.

    Mit Ausnahme einer staatsfeindlichen Äußerung, wobei die Täterin der Gestapo übergeben wurde, wurden im Berichtsmonat keine defaitistischen Bestrebungen wahrgenommen.

    Die Bevölkerung geht an den politischen und militärischen Ereignissen mehr oder weniger teilnahmslos vorüber. Eine merkliche Kriegsmüdigkeit ist zu bemerken. Mit Spannung wird die nun schon oftmals angekündigte Vergeltung gegen den Luftterror erwartet. In diesem Zusammenhang kursieren die verschiedensten Gerüchte. Z.B. heißt es: Für die Vergeltung stehen uns Raketengeschütze riesigen Ausmaßes zur Verfügung. Oder, für die Vergeltung werden unbemannte, ferngesteuerte Bombenflugzeuge eingesetzt. Dies wird angeblich von Frontsoldaten erzählt.

    Die fremdvölkischen Arbeitskräfte verrichten meistens widerwillig ihre Arbeit.

    In konfessioneller Beziehung ergab sich kein Anstand.

  2. Wirtschaftliche Lage.

    Bei der Versorgung der Bevölkerung mit lebensnotwendigen Gebrauchsgegenständen (Spinnstoffen, Möbel, Öfen, Geschirr usw.) ergeben sich immer größere Schwierigkeiten. Vorsprachen bei den einzelnen Dienststellen müssen fast durchwegs verneinend beschieden werden. Bei der Versorgung mit Lebensmitteln ergaben sich keine Schwierigkeiten. Das Hamsterunwesen und der Schleichhandel, insbesonders mit Wein, sind ständig im Wachsen begriffen. Seitens der Bevölkerung fehlt hiebei jede Mithilfe.

    Je eine Abschrift wurde der Gestapo, dem RV. Dezernat und dem Landesernährungsamt Niederdonau übermittelt.

    15.XII. 1943.

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    Lagebericht für den Monat Februar 1944.

  1. Politische Lage.

    Staatsfeindliche Umtriebe von deutschen Volksgenossen wurden nicht wahrgenommen. Dagegen wurde der im Russenlager des Werkes Moosbierbaum eingesetzte russische Vertrauensmann wegen staatsfeindlichen Umtriebe verhaftet und der Gestapo Wien überstellt.

    Die schweren Abwehrkämpfe im Osten werden von der Bevölkerung voll gewürdigt und mit Interesse verfolgt. Die kommenden Ereignisse werden mit Spannung erwartet. Ein deutsches Mädchen wurde wegen Geschlechtsverkehr mit einem französischen Zivilarbeiter der Gestapo St. Pölten angezeigt. Es wird allgemein bemerkt, daß die Reichsbahn, besonders an Sonn- und Feiertagen, von ausländischen Arbeitern sehr stark in Anspruch genommen wird. Eine Kontrolle dieser Arbeiter ist fast unmöglich, da die wenigsten einen Lichtbildausweis besitzen. In Tulln wurde ein tschechischer Schlosser festgenommen, weil er für polnische Landarbeiter Schlagringe verfertigte. Die zum Teil bereits durchgeführte Umquartierung aus Wien hat bis jetzt zu keinem Anstand geführt. Die Bevölkerung ist wegen der zu erwartenden Luftangriffe etwas nervös. Allerdings laufen diesbezüglich verschieden Gerüchte, die einen Luftangriff auf Wien in Abrede stellen. So geht z.B. das Gerede, Wien werde nicht bombardiert, weil es als Hauptstadt für das zukünftige Habsburgerreich ausersehen ist. Oder, ein abgeschossener Feindflieger hätte eine Landkarte bei sich gehabt, in der Wien als schwarzer Fleck aufscheint, der nicht überflogen und auch nicht bombardiert werden darf.

  2. Wirtschaftliche Lage.

    In wirtschaftlicher Beziehung ist nichts Nennenswertes zu berichten. Einzelne Kaufleute führen Klage, daß das in der 59. Kartenperiode fällig gewesene Butterschmalz noch immer nicht angeliefert wurde. Die Weinhauer führen darüber Klage, daß das zur Ablieferung vorgeschriebene Weinquantum sehr ungerecht verteilt ist. Das Hamsterunwesen blüht nach wie vor gut. Derzeit wird Wein in jeder Menge gehamstert. Von der Gendarmerie durchgeführte Kontrollen haben vorübergehend den Schleichhandel mit Wein etwas eingedämmt. Da seitens der Bevölkerung jede Mithilfe fehlt, ist es fast unmöglich, den Schleichhandel abzustellen.

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    Der Landrat des Kreises Krems a.d.D.

    Az: 1 – 19, 11. April 1944

    An

    den Herrn Reichsstatthalter in Niederdonau,

    zu Handen des Herrn Regierungspräsidenten Dr. Gruber

    in Wien 1, Herrengasse 11.

    Betrifft: Vorfallenheitsberichte.

  1. Politische Lage.

    Der Einmarsch deutscher Truppen in Ungarn hat die einige Zeit vorher bestehende Spannung wieder beseitigt. Überdies erwartet man aus dieser Massnahme für das Reich eine fühlbare Erleichterung in militärischer und wirtschaftlicher Hinsicht.

    Die Meinungen über die durch den ständigen Rückzug im Osten hervorgerufene Lage sind geteilt. Der weniger zuversichtliche Teil der Bevölkerung spricht von grossen eigenen Verlusten und befürchtet ein weiteres Vordringen in innerdeutsches Gebiet. Ein Großteil hält jedoch den Höhepunkt für überschritten und erwartet nicht nur eine baldige Festigung, sondern sogar einen erfolgreichen Gegenangriff im größeren Ausmasse.

  2. Wirtschaftliche Lage.

    Die lang andauernde Kälte und die große Nässe haben den Beginn der Anbauarbeiten stark verzögert. Insbesondere im Gebiete des Waldviertels geben die hohe Schneelage sowie die starken Verwehungen Anlaß zu Befürchtungen, daß die Winterfrucht Schaden leiden werde. Auch beeinträchtigt hier die abnormale Schneelage stark den Verkehr, was sich bei der Holzeinbringung sehr ungünstig auswirkt.

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    Der Landrat

    Az. Pol 10023, Tulln, den 4. Mai 1944

    Lagebericht für den Monat März 1944.

  1. Politische Lage.

    Staatsfeindliche Umtriebe wurden im Berichtsmonat nicht wahrgenommen.

    Wegen wiederholtem Einwerfen der Fensterscheiben in der Dienststelle der NSDAP, Ortsgruppe Langenlebarn und Anzünden der Propagandaplakate in den Anschlagkästen der Partei wurden 2 deutsche Volksgenossen der Geheimen Staatspolizei St. Pölten überstellt.

    Das militärische Geschehen hat keine besondere Beunruhigung der Bevölkerung gezeitigt. Dagegen ist das Verhalten der Kriegsgefangenen, sowie der polnischen und russischen Zivilarbeiter als „nackensteifer“ zu bezeichnen. Sie erhoffen sich vom Bolschewismus die Befreiung und soziale Besserstellung.

    Gerüchte: Einem Gerücht zu Folge hat das Deutsche Reich sämtliche Kugellagerwerke der Schweden in der Schweiz um den zwölffachen Preis angekauft, um die ausgefallenen Werke im Reich zu ersetzen. In Loosdorf soll ein großes Industriewerk in einem Berg eingebaut werden. Dieses Werk muß in 1 ½ Jahren fertig sein. Daraus will man schließen, daß der Krieg noch einige Jahre dauern wird.

    In konfessioneller Beziehung ergab sich kein Anstand.

  2. Wirtschaftliche Lage.

    In der Lebensmittelversorgung wurden keine Klagen wahrgenommen. Die Landwirte klagen teilweise über Futtermangel. Das Hamsterunwesen geht im gleichen Umfange weiter.

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    Der Landrat des Kreises Krems a.d.D.

    Az: 1 – 19, 9. Juni 1944

    Betrifft: Vorfallenheitsberichte.

    Der erstmalig in der Nacht vom 29. auf den 30. Mai 1944 erfolgte Bombenangriff feindlicher Flugzeuge im Kreis Krems a.d.D. hat gezeigt, daß die Bevölkerung trotz wiederholter Belehrungen die Luftlage bisher noch immer zu wenig ernst genommen hat. Die Verluste an Toten und Verwundeten sind ausschließlich dem Umstande zuzuschreiben, daß die Betroffenen es unterlassen haben, rechtzeitig Deckung zu nehmen.

    Nunmehr ist zu beobachten, daß sich das Interesse für die Luftschutzmassnahmen sichtlich erhöht hat. Sonst ist nicht von Belang zu melden.

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    Der Landrat des Kreises Krems a.d.D.

    Az: 1 – 19, 8. Juli 1944

    Betrifft: Vorfallenheitsberichte.

  1. Politische Lage.

    Die zu Beginn des Berichtsmonats offenbar gewordene Tatsache, daß es den Anglo-Amerikanern gelungen ist, in Frankreich Fuß zu fassen, hat anfänglich beunruhigend gewirkt, da man vielfach der Ansicht war, daß eine Landung überhaupt unmöglich sei. Seit sich aber gezeigt hat, daß das Landungsgebiet sehr beschränkt ist und bisher keine wesentliche Erweiterung erfahren konnte, ist die Beunruhigung wieder einer grösseren Zuversicht gewichen. Zu diesem Stimmungsumschwung haben auch sehr viel die zahlreichen aufmunternden Worte des Führer und anderer führenden Männer sowie der erfolgreiche Einsatz der Vergeltungswaffe beigetragen.

    Im letzten Monat wurden auf das Kreisgebiet wiederholt bei Tag und Nacht feindliche Bomben verschiedenen Kalibers abgeworfen. Glücklicherweise waren in keinem Fall Personenverluste zu beklagen, sondern beschränkte sich der Schaden in der Mehrzahl auf Flur- und Waldschäden, in der geringeren Zahl auf Gebäudeschäden u.z. vorwiegend Schäden in Weinkellern. Die Bevölkerung erträgt diese Angriffe mit Ruhe und Gelassenheit, umsomehr, als die Aufräumarbeiten im Wege der Nachbarschaftshilfe und die baulichen Sofortmaßnahmen rasch und gründlich erfolgen.

  2. Wirtschaftliche Lage.

    Infolge des gegenwärtig günstigen Standes der Feldfrüchte und der Weinkulturen wird mit einer guten Ernte gerechnet.

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    Der Landrat des Kreises Krems a.d.D.

    Az: 1 – 19, 9. August 1944

    Betrifft: Vorfallenheitsberichte.

  1. Politische Lage.

    Der Anschlag gegen den Führer hat bei der ganzen Bevölkerung tiefste Empörung und Abscheu ausgelöst. Eine Anzahl von Treuekundgebungen wurde in einzelnen Ortsgruppen unter reger Beteiligung durchgeführt. Als bekannt wurde, aus welchem Kreise der Attentäter stammt, war ein allgemeines Verlangen nach gründlicher Säuberung jener Schichten zu bemerken.

    Der Aufruf des Reichsministers Dr. Göbbels vom 26.7.1944 zur Aufbietung aller Kräfte für den totalen Kriegseinsatz wurde allgemein mit Befriedigung aufgenommen. Insbesonders die in vollem Arbeitseinsatz stehenden Volksgenossen erwarten nunmehr die restlose Erfassung aller Arbeitsfähigen ohne Ansehung ihrer Herkunft und Einstellung.

    Die Umsiedlung von Judenfamilien aus Ungarn zum Zwecke des Arbeitseinsatzes wir in den betroffenen Orten mit einigem Unbehagen verfolgt, weil man befürchtet, daß dies der Beginn einer dauernden Rückkehr der bereits glückliche losgewordenen Menschenart fremden Blutes sein könnte.

  2. Wirtschaftliche Lage.

    In den Weinbaugebieten ist infolge der günstigen Weinernte des Vorjahres die wirtschaftliche Lage der Bevölkerung sehr gut. Auch die Ansätze für die diesjährige Weinernte zeigen sich sehr günstig, zumal mit Beginn der letzten Woche auch die lang-ersehnte Warmwetterzeit eingetreten ist. Auch die übrigen Ernteerfolge sind als günstige zu bezeichnen.

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    Der Landrat des Kreises Krems a.d.D.,

    Az: 1 – 19, 10. Februar 1945

    Betrifft: Vorfallenheitsberichte.

  1. Politische Lage.

    Die Ereignisse an der Ostfront werden in der Bevölkerung lebhaft erörtert. Die Stimmung ist sichtlich gedrückt und wenig zuversichtlich. Ein Teil der Bevölkerung erblickt in der Aufbietung des Volkssturms keine ausreichende Massnahme für eine Änderung der Kriegslage, besonders da Waffen und Ausrüstung fehlen. Die früher vielfach gemachten Ankündigungen des Einsatzes neuer, besonders wirksamer Waffen wird großteils nur mehr als Mittel der Propaganda zur Beruhigung der Bevölkerung angesehen.

    Der Aufruf zum Volksopfer wurde mit großem Verständnis aufgenommen. Die Bevölkerung hat weitgehende Opferfreudigkeit bekundet. Das Sammelergebnis ist als sehr gut anzusehen.

    Das Verhalten der Kriegsgefangenen aus ausländischen Arbeitskräften hat bisher keinen Anlass zur Beunruhigung gegeben.

  2. Wirtschaftliche Lage.

    Die Brennstoffversorgung ist ausserordentlich beengt, die Bereitstellung von Kohle auch für Versorgungsbetriebe gefährdet.

    Die zu erhöhten Getreideablieferungen angeordneten Massnahmen, besonders die Sperre von Hausschlachtungen für Ablieferungsunwillige, haben zur Anhäufung von Getreidevorräten bei den zum Teil behelfsmässig bereitgestellten Sammelstellen geführt, welche wegen Mangel an Transportmitteln auch in nächster Zeit andauern dürfte. Eine gewisse Gefährdung dieser Vorräte durch Sabotageakte sowie Ratten- und Mäusefraß ist nicht von der Hand zu weisen.

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    Unsere Artikel, die NS-Zeit betreffend, die mit Emblemen des Dritten Reiches versehen sind, dienen nur dem Zweck der staatsbürgerlichen Aufklärung und der militär- und zeithistorischen Forschung über die Ereignisse und Vorkommnisse von vor über 70 Jahren. Wir wollen solche Darstellungen nicht als falsche Glorifizierung verstanden wissen und distanzieren uns dezidiert von nationalsozialistischem Gedankengut.  

    Jänner 2014, letzte Änderung Februar 2024 

     Maria Knapp