Turmkreuz-Weihe in Mallon

10. November 1895

 

Wenn auch der Himmel ein recht herbstlich-erstnstes Gesicht aufgesteckt und zeitweise sogar feuchte Wassertropfen herabgeworfen hat, so hat sich doch eine ansehnliche Menge gläubigen Volkes auch aus der Umgebung zusammengefunden, um der Weihe des Thurmkreuzes anzuwohnen. „Der Zahn der Zeit“ hat nämlich schon lange an unserem kleinen Heiligthume genagt und dasselbe dem Einsturze nahe gebracht. Die jetzige wackere Gemeindevertretung hat es aber auf sich genommen, durch Sammlung freiwilliger Spenden (bei der löbl. Sparkasse in Kirchberg u.a. Privatwohlthätern) den bescheidenen Wegweiser zum Himmel zu restaurieren. Und die ganze Erneuerung hat die feierliche Aufsetzung des Thurmkreuzes gekrönt, dessen Weihe der hochwürdige Herr Pfarrer und Dechant von Kirchberg am Wagram unter Assistenz vorgenommen hat. Unter Pöllerschüssen und unter Vortritt der Musikkapelle wurde das festlich geschmückte Kreuz beim Gemeindevorsteher von Burschen gehoben und in einem feierlichen Umzuge zum Triumpfbogen vor der Kapelle getragen. Weißgekleidete Jungfrauen und Mädchen hielten die rosafarbenen Bänder, welche vom Kreuze zu beiden Seiten über die Tragbahre herabhingen. Am Triumpfbogen angelangt, trug ein Schulmädchen unter lautloser Stille einen passenden Spruch in schöner Weise vor, worauf die kirchliche Weihe stattfand. Bevor das Kreuz von den weißgekleideten Jungfrauen aufgezogen wurde, hielt der Vollzieher der Weihe eine erbaulich Ansprache an die Versammelten über das Kreuz im menschlichen Leben. Beim Aufziehen des Kreuzes selbst ereignete sich ein eigenthümlicher Zwischenfall, der alle Anwesende mit Entsetzen erfüllte, aber durch die Geistesgegenwart des Zimmermeisterssohnes, welcher oben des Kreuz befestigen sollte, in seinen unglücklichen Folgen gehindert wurde. Schon ist das Kreuz fast oben, da reißt das Aufzugsseil. Das Kreuz schwebte einen Augenblick zum Herabfallen: aber sogleich war es von der Hand des Zimmermannes fest erfaßt und unter Mithilfe des Spängerlmeisters auf der Höhe der unverhältnismäßig kleinen Thurmspitze aufgesetzt. Mit der Absingung des Liedes „Großer Gott wir loben dich“ hatte die kirchliche Feierlichkeit ein Ende.

Kremser Zeitung vom 17.11.1895

 

August 2020
Maria Knapp