Dieser Text stammt von Dr. Rudolf Delapina, Heimatforscher aus Kirchberg am Wagram, (1883 – 1965)

Über die Gründung des Strassendorfes Oberstockstall besitzen wir keine authentische Nachricht. Wir sind in diesem Falle auf Vermutungen angewiesen. Leider finden sich auch in der späteren Siedlungsgeschichte nur wenige Anhaltspunkte für die Zeit der Entstehung des Dorfes.

Geschichtlich ist, dass das Geschlecht der Siegehardinger maßgeblich an der Erschließung des nördlichen Teil von N.Ö., des "Weinviertel" beteiligt war. Näheres hierüber später.(Öttinger, Brunner). Es ist daher naheliegend, daß die Gründung des Dorfes auf einen "Siegehard von Stochesdale" zurückgeht.

In der Schenkungsurkunde vom 5.6. 1011 an Niederalaich (Absdorf – Schmieda – Sigmareswered werden darin genannt) ist von gerodeten, als auch von ungerodeten Wäldern die Rede. Daher kann man annehmen, daß zur Zeit des Erscheinens der bayerischen und fränkischen Siedler nach 955 (siegreiche Schlacht auf dem Lechfelde) das Land auf und über dem Wagram streckenweise, soweit nicht kleine Siedlungsstätten aus vorkarolingischer Zeit, sowie aus der Karolingerzeit sich hie und da (etwa auf dem Boden des heutigen Kirchberg am Wagram) erhalten hatten, vielleicht zum Großteil noch von Wald und Forst bewachsen war. (Top. N.Ö. III. Bd. 1893 S. 97).

Besiedlung und Rodung, Abstocken vorhandenen Forstes, um den Boden für die wirtschaftliche Nutzung reif zu machen, gingen immer Hand in Hand. Die Deutung des Namens Stockstall (sie ist nicht unbestritten) gibt Aufschluß über die ersten Jahre der Siedlungsarbeit.

Dr. Richard Müller: Ortsnamen XVIII J.G. 1884 d. Bl. d. V. F. L. Kunde v. NÖ. S. 104 schreibt:
"Das erste durch die Jahrhunderte andauernde Geschäft des neuen Ansiedlers war das Lichten der Wälder. Wenn die Stöcke des ausgehauenen Waldes im Boden belassen werden, entsteht ein sogenanntes Stockach (Schmeller 2. 730). Ein Lehen in dem Stockach wird zwischen 1305 und 1310 bei Waidhofen an der Ybbs erwähnt. (cod. dipl. austr. Freising 3. 392, 424); vgl Urkundenbuch bei Seitenstetten S. 160, 232).

Eine curia "in dem Stockeich" lag 1342 bei Hainfeld im Wr. Wald. (cod.dipl.austr.freising 2.280 Nr 688.) Es findet sich auch ein stocstal d.i. Stockstelle im Namen der Orte Ober- Mitter- und Unterstockstall.

Die älteste Form dieses Namens ist Stochistalle im Salbuch von Göttweig. (Fontes II.(. S 86 Nr. 368 vgl. S 243f.)

Da nun der Holzarbeiter: der "Holzabstocker" Stockaere hieß, bedeutet die Stelle, wo die Holzabstocker die Stöcke des ausgehauenen Forstes und Waldes belassen haben, eine Stockstelle. So erklären sich die Namen Tocharen um 1160 an der Pielach (Zahn, Urkundenbuch von Steiermark 1-914b) und Stockerau. Ersteres ist zu verstehen zen stockaren, "zu den Holzabstockern", letzterer "stockaereouwe": "Au der Holzabstocker": noch führt der Markt Stockerau einen abgehauenen Baumstock im Wappen.

Hier ist auch Stockern, ein Schloß und Pfarrdorf zwischen Kuenring und Horn zu nennen.

Die Silbe -stall (in Oberstockstall) bedeutet dasselbe wie in Burgstall, die Stelle, wo eine Burg stand oder steht, später die Burg selbst und ist nichts anderes als das einfache Stall, das im Neuhochdeutschen nur mehr die Bedeutung: Ort zum einstellen des Vieh`s hat, ursprünglich aber im alt- und mittelhochdeutschen stal lautete und in erster Linie: Stehort, Sitzort, Wohnort, Stelle bedeutete, daraus latinisiert "stallum", im Kirchenlatein üblich für den Platz der Geistlichen im Chor (Leser mittelhochdeutsches Wörterbuch S. 1130) stal ist somit unsere heutige "Stelle".

Dr. Karl Lechner bringt in seinem Aufsatz "Siedlungsnamen und Siedlungsformen im Tullner Bezirk“ (Heimatkalender des Tullner Bezirkes 1963)  folgende Erklärung für Stockstall: "Auf der Höhe des Lößhügellandes ist durch eine Reihe von zum Teil tief eingeschnittenen Trockentälern auch die Namensendung -Tal verständlich, also Riedenthal (von unserem Personennamen Rüdiger, Ottenthal, Ruppersthal und Stockstall (Stoches-Talle). Besonders bezeichnend ist Thürnthal für ein ausgetrocknetes Lößtal, während Ameisthal nicht ganz klar ist (ob Omeis= Abschlag Mais?)".

Auf einer Landkarte aus dem Jahr 1748 findet sich folg. Schreibweise: "Ob. Stopsthal, Mittel Stopsthal, Unter Stopsthal."  In der Top. v. N.Ö. von Weiskern v. J. 1768 lesen wir: Ober- Mitter- Unter-Stoksthal.

Zur mühsamen besonders Kraft erfordernde Bodenarbeit kam, daß all diese Siedler am linken Donauufer in den ersten Jahrzehnten nach 955 auf vorgeschobenen Posten sich befanden. Es war daher erforderlich, den Siedlungen eine Form zu geben, die sie wehrmäßig sicherten. Dies geschah durch die Anlage von geschlossenen Siedlungen. Außer Zweifel steht, daß das Entstehen dieser Art Siedlungen, die sich in unserem Landesteile vorfinden, in den Beginn des XI. Jahrhunderts zurückreicht. Der Grund und Boden, der zu dem Dorfe gehörte, wurde in Streifen zur Bebauung zugewiesen. Die Anlage eines Dorfes erfolgte jedoch in geschlossener Form, die Häuser aneinander gereiht mit Hecken und Gräben umschlossen, an den beiden Ausgängen durch Falltore gesichert, um einen feindlichen Angriff durch die männliche Dorfgemeinschaft abwehren zu können. Für die neuen Ansiedler bestand auch eine Burgbaupflicht;

Burgwerk nannte man diese Robotverpflichtung der Untertanen zur Befestigung. An der Spitze der Verteidigung stand in den Orten das Herrengeschlecht oder meist ein Dienstmannengeschlecht, das im Dorfe in günstiger Lage in einem festen Haus (Veste) saß. Im Falle eines Angriffes hatten die wehrfähigen Dorfgenossen die Dienstmannen zu unterstützen. Die Falltore waren kaum geeignet kriegsstarke Truppen abzuhalten, gegen herumstreunendes Gesindel und Plünderer konnten sie den Ort einigermaßen sichern.

Daß die ersten urkundlichen Überlieferungen erst aus der Zeit um die Mitte des XII. Jahrhunderts, dann aus der Zeit des Interregnums und der ersten Habsburger stammen, ist kein Beweis gegen die Richtigkeit der Annahme, dass die Entstehung des Straßendorfes Oberstockstall in die ersten Jahrzehnte des XI. Jahrhunderts fällt.

Den Siedlungen in unserem Raume ist die Besiedlung des Gebietes, in das die Schmida in die Ebene des Tullnerfeldes eintritt, vorangegangen.

Bereits in der Karolingerzeit vor 874 hatte das in der Magyarenzeit dann zerstörte Kloster Kremsmünster Land um die Schmida bis zum Wagram erhalten. Nachdem Bischof Pilgrim von Passau Kremsmünster eigenmächtig in Besitz genommen hatte, erlangten die Niederaltaicher 26.6. 1011 von König Heinrich II. dem Heiligen (1002 – 1024) eine Schenkung, wonach das Kloster Niederaltaich das Gebiet von Absdorf mit 10 königl, Hufen westlich von Absdorf bis zum Ministerium SIGMARESWERIDE in der Ausdehnung von der Donau nördlich bis zum Wagram erhielt.

In dieser Schenkungsurkunde ist von gerodeten als auch von ungerodeten Wäldern die Rede. Wenn in der Niederung der Donau nicht nur von gerodeten, sondern auch von nicht gerodeten Wäldern gesprochen wird, umso mehr muss man annehmen, dass zu jener Zeit das Land auf und über dem Wagram streckenweise, vielleicht zum Großteil, noch vom Walde oder Forste bewachsen war. Zu jener Zeit waren diese Siedlungen am linken Donauufer immer noch den Gefahren der Grenze ausgesetzt. Dies beweist die Erzählung von der Ermordung des hl. Koloman, der im Jahr 1012 nach Palästina wandern wollte, in diesem Grenzgebiete bei Stockerau jedoch von den Siedlern für einen feindlichen (ungarischen oder böhmischen) Spion gehalten und gehängt wurde.

Mai 2013
Andreas Nowotny/Maria Knapp