Die versunkene Glocke 

In uralten Zeiten standen bei Grafenwörth zwei stolze Städte, die eine hieß Waasen, die andere Santl. Die Bewohner dieser beiden Städte waren sehr gottlos und führten ein sittenloses und verschwenderisches Leben. Eines Tages zog ein schweres Gewitter herauf. Blitze durchzuckten die Nacht und furchtbare Donnerschläge erschütterten die Erde. Plötzlich spaltete sich der Boden und in seinem Höllenrachen verschwanden die beiden Städte samt ihren Bewohnern.

Nichts mehr kündet von ihrer Größe und Herrlichkeit. In stillen Mondnächten aber wollen so manche Grafenwörther Glockenläuten vernommen haben.

Vor vielen, vielen Jahren war es, da hütete auch ein Hirte auf dieser Weide seine Rinder. Nun war auch ein Stier darunter, der plötzlich mit seinen Hörnern wild in den Grasboden stieß. Der Hirt hatte den Stier eine Zeit lang beobachtet und verjagte ihn, doch das Tier kehrte immer wieder zu dieser Stelle zurück und ließ nicht davon ab, mit seinen Hörnern in die Erde zu stoßen. Schon hatte er eine Grube in den Wiesenboden gegraben. Der Hirte ging nochmals zu dieser Stelle und vernahm jedesmal, wenn der Stier mit seinen Hörnern in die Erde stieß, ein leises Klingen wie von Silber. Er verjagte den Stier, und was sah er zu seinem Erstaunen in der Erdhöhlung eine Stelle, etwa so groß wie ein Hühnerei, die silbern glänzte. Der Hirt nahm seinen Stock, kratzte damit die Erde noch mehr von der Stelle, und der silberne Fleck wurde noch größer. Nun lief der Hirt eiligst nach Grafenwörth zurück und verständigte einige seiner Nachbarn von diesem merkwürdigen Fund. Und sie kamen mit Grabwerkzeugen aller Art und begannen die Grube zu vertiefen und zu verbreitern.

War das ein Rufen und Staunen, als man entdeckte, daß hier in diesem Wiesenboden eine große Glocke aus reinstem Silber begraben lag, und einer der Umstehenden rief: „Schaut, schaut, hier liegt die Glocke der versunkenen Stadt, die ich selbst einmal klingen hörte, als ich in einer mondhellen Nacht nach Hause ging.“ Das Staunen wollte kein Ende nehmen. Fast alle Einwohner von Grafenwörth wanderten hinaus auf die Viehweide, um diesen Schatz zu schauen. Drei Tage lang grub und arbeitete man, bis man nach heißer Mühe die schwere Silberglocke aus der Erde heben konnte. Ihr riesiger Leib glänzte im Sonnenlichte. Als man sie vom Erdreich gereinigt hatte, entdeckte man, daß ihren Rand drei Stierköpfe schmückten. Nun wurde die Glocke auf einen Wagen geladen, mit Reisig und Blumen geschmückt und zur Kirche nach Grafenwörth gefahren.

Man hängte die Glocke an einem Holzgerüst auf, um ihren Klang hören zu können. Klar und silberhell ertönte ihr edler Leib, und die Grafenwörther freuten sich unsagbar über diesen seltenen Fund. Bald erfuhr man in der ganzen Umgebung von diesem Schatz, und von weit und breit kamen die Leute, um die silberne Glocke der versunkenen Stadt zu schauen. Die größten Kirchen wollten sie um schweres Geld den Grafenwörthern abkaufen. Das reiche Stift Göttweig bot eine märchenhafte Summe dafür. Man erzählte sich, daß sie die Glocke um soviel Gulden kaufen wollten, die dazu nötig wären, um damit die Straße von der Steiner Brücke bis Grafenwörth zu pflastern. Doch umsonst. Die Glocke blieb im Besitze der Grafenwörther.

Später hat man sie eingeschmolzen und drei Glocken daraus gegossen. Eine davon ist die große Glocke auf dem Kirchturm zu Grafenwörth. Sie trägt am Rande des Saumes drei Stierköpfe.(Markt Grafenwerd, Ein Heimatlesebuch, Dir. Lambert Pekarek, 1978, S. 82)

 

Die Mirl von der Au

In der Au südöstlich von Grafenwörth erhob sich in alter Zeit eine große Wallfahrtskirche. Auf ihrem Altar stand eine herrliche, geschnitzte und bemalte Marienstatue aus Lindenholz. Unsere Liebe Frau hält den Jesusknaben auf dem Arm! Aus nah und fern strömten damals die Gläubigen zu dieser Kirche, um der Gottesmutter ihre Sorgen und Nöte anzuvertrauen. Mild lächelnd blickte die Himmlische Frau auf die Betenden und getröstet zogen die Wallfahrer wieder heim.

Als ein besonders arges Hochwasser die Kirche zum Einsturz brachte, trugen die Wellen das wundertätige Kunstwerk in einen nahen hohlen Baum wo es dann nach dem Hochwasser wieder völlig unversehrt gefunden wurde. Man brachte die Statue in die alte Grafenwörther Pfarrkirche, wo sie als „Mirl von der Au“ von den Pfarrkindern verehrt wurde.

Heute nimmt man als erwiesen an, dass diese Marienstatue, die in der Wachau und in Bayern sehr ähnliche Doppelgänger hat, von einem Hochwasser von dort hergetragen wurde. Dass die Statue dann von St. Johanner Fischern angeschwemmt gefunden wurde, zeigt auch die Tatsache, dass sie lange Jahre in der Kapelle von St. Johann aufgestellt war.[1]
(Markt Grafenwerd, Ein Heimatlesebuch, Dir. Lambert Pekarek, 1978, S. 82.)

 

Die versunkene Stadt

In uralten Zeiten war’s! Die Donau warf ihre Wellen noch über die Hänge des Wagrams und die „Schäfmeister“ zogen auf seinen Höhenrücken mit feurigen Windhengsten ihre Schiffe stromaufwärts. Unterhalb Grafenwörth erheben sich zwei stolze Städte, Waasen und Santl. Weithin schauen ihre hohen Zinnen und Türme. Aber die Bewohner sind gottlos: Gott ließ sich nicht spotten. Ein schweres Ungewitter zieht über die Stadt. Blitze durchzucken die Nacht, Donner erschüttert die Erde. Sie öffnet sich und in ihrem Höllenrachen verschwinden die gottlosen Städte.

Nichts kündet mehr von ihrem Bestehen, ausgelöscht ist ihre Geschichte aus dem Buche des Wissens.
(Dr. Karl Knapp, Heimatkunde von Grafenwörth, 1924) 

 

Vom Bruckner

Die Leute sagten, er hielte es mit dem Böhm. In seinem Häuschen sah‘s gar absonderlich aus. Statt des Geselchten hingen im Rauchfange allerlei „Binkerln“ und Päckchen. Denen verdankte er seine Macht über die Geister.

Einst sollte er bei einem Bauer ein Schwein schlachten. Da tritt ein wandernder Fleischer in den Hof, der ebenfalls das Schwein schlachten will. Als man ihn das verwehrt, stößt der Handwerksbursche den gräulichen Fluch aus, daß das Schwein nimmer getötet werden könne und entweicht. Bruckner sticht das Schwein, doch kein einziger Tropfen Blut fließ aus der Wunde. Ruhig zieht Bruckner sein Messer und stößt es durch den Stiefelschacht in die Erde. Der Übeltäter ist damit gebannt. Weinend kommt er zurück löst den Fluch und bittet seinen Bezwinger, ihn laufen zu lassen.

Bruckner zieht das Messer auf dem Stiefelschacht, der Frevler kann wiederum seines Weges gehen. Und siehe, kaum ist er aus dem Hause, strömte Blut aus der Wunde des Tieres.
(Dr. Karl Knapp, Heimatkunde von Grafenwörth, 1924)

 

Die „Franzosenliesl“

So hieß ein unglückliches Mädchen, das die Schuld ihres Vaters zu büßen hatte.

Franzosen liegen im Lande! Schon sind sie geschlagen und sie fluten zurück in ihre Heimat. Doch viele sind, die zurückbleiben müssen, Krankheit fesselt sie ans Bett. Auch in Grafenwörth liegen viele dieser Unglücklichen. Um sich ihr Los leichter zu gestalten, sind sie mit ihrem Gelde ziemlich freigebig. Das lockt aber die Habsucht verschiedener Ortsbewohner. Eine eigene Kaste bildete sich, die „Schachterer“ nennt sie das Volk, die bei Nacht und Nebel einem schändlichen Gewerbe frönt. Sie töten die wehrlosen Kranken und berauben sie dann ihrer Wertsachen. Die Leichname aber verscharrten sie in einer Schottergrube oder warfen sie in die Donau.

Der Vater unserer „Liese“ gehörte auch zur edlen Zunft der „Schachterer“. Von allen verachtet und gemieden verlebt er einsam seine Tage. Die Abscheu vor dem Blutgelde vererbte sich auch auf die Kinder. Überall verhöhnt und verspottet, wurde auch die Liese als Auswurf der Menschheit betrachtet.
(Dr. Karl Knapp, Heimatkunde von Grafenwörth, 1924)

 

Das „Weiße Kreuz“

Lustig ziehen die Gesellen durch die Lande. Überall sind sie heimisch, doch nirgends können sie Wurzeln schlagen.

Drüben geht die Sonne scheiden, da stoßen drei Handwerksburschen vor den Mauern Grafenwörth’s zusammen. Sie lagern sich im Grase und beginnen ein Spiel. Ein Streitwort fällt, der Zwist beginnt. Niemand gibt nach. Scheltworte fliegen hin und wider, ein Messer schwirrt aus der Scheide und schon rieselt warmes Menschenblut über den Rasen. Und das Ende des  

 

Noch eine zweite Sage kreist im Volke von diesem Marterl.

Hier kreuzen drei Wege. Wenn du in finsterer Christnacht die Winde pfeifen und die Stürme brausen hörst, geben sich überirdische Geister hier Stelldichein. Willst du sie schauen, so eile bei sinkender Sonne zum Friedhof und hole den Sargdeckel eines reinen Kindes aus der gefrorenen Erde. Dann ziehe rings um das Martel mit geweihter Erde einen großen Kreis und warte, still wie eine Schildwacht im Grabe.

Sobald die Uhr die Mitternachtsstunde schlägt, siehst du durch ein Astloch deines Sargdeckels die Geister der andern Welt vor dir vorüberziehen. Tu’s aber nicht. Zwei haben es versucht, so den Geistern die Zukunft abzulauschen. Sie bezahlten ihre Neugierde mit dem Tode.

Das besagte Marterl befindet sich nördlich der Autobahn bei Seebarn.
(Dr. Karl Knapp, Heimatkunde von Grafenwörth, 1924)

 

Vom Schlüsselhof

Vor uralten Zeiten besaß Grafenwörth zwei Klöster. Die Mönche hausten im Schlüsselhofe und die Nonnen im gegenüberliegenden Hause. Die beiden Klöster verband ein unterirdischer Gang. Der große Stein, die sich noch heute in der Mitte der Straße befindet, ist ein Teil des Deckengewölbes. Durch diesen unsichtbaren Weg schlüpften Nonnne hinüber und Mönche herüber. Ein lustiges Leben begann. Da kommt ein neuer Abt ins Kloster! Mit ihm zieht ein anderer Geist ins Haus. Jeder Unfug wird strenge bestraft. Die Hauptübeltäter aber wurden im unterirdischen Gange lebend eingemauert.

Noch heute hörst du in finsterer Mitternachtsstunde ihr Ächzen und Stöhnen. Nie sollen sie zur Ruhe kommen, ewig müssen sie für ihr lasterhaftes Erdenleben leiden.

Der Schlüsselhof befindet sich etwa gegenüber der ehemaligen „Eder-Mühle“ – heute Wohnblock.
(Dr. Karl Knapp, Heimatkunde von Grafenwörth, 1924)

 

Das „rote Kreuz“

Inmitten unserer Felder steht ein einfaches Holzkreuz. Das „Rote Kreuz“ nennt es das Volk und jeder trachtet, sobald als möglich den gruseligen Ort zu verlassen.

Es gibt noch keine Dampfmaschine, kein Flugzeug, keine Eisenbahn. Wundervoller Frühlingssonnenschein lacht über die grünende Flur. Sonntag ist! Alles läuft zur Kirche. Nur der Hofer bleibt daheim und schirrt seinen Ochsen an. Was kümmert ihn der Herrgott, was Sonntag und Messe. Langsam zieht er Furche um Furche. Gemächlichen Schrittes ziehen die Ochsen dahin. Da ertönt die Wandlungsglocke. Wie verhext beginnen die Ochsen zu laufen. Sie kehren um, stoßen den Bauer nieder und durch seinen Leib furcht sich die Pflugschar. Gierig saugt der Boden den roten Lebenstran. Ein letztes Wimmern noch und er hat gelebt. – Zum ewigen Gedenken errichtete das Volk an dieser Stätte ein Kreuz, das „Rote Kreuz“. 

Das genannte Holzkreuz befindet sich „Am Anker“, die Gasse ist „Zum Roten Kreuzl“ benannt.
(Dr. Karl Knapp, Heimatkunde von Grafenwörth, 1924) 

 

März 2017
Maria Knapp