Ein Bericht aus dem Neuen Wiener Journal vom 23.7.1920. Der Artikel erschien fast gleichlautend in sieben weiteren Zeitungen bis Graz und Innsbruck. 

Ueber einen nahezu unglaublichen Betrug, dessen Opfer eine Grundbesitzerstochter in der Gegend von Kirchberg am Wagram wurde, machte der Gendarmerieposten der hiesigen Polizeidirektion Mitteilung. In Winkl lebt die Besitzerstochter Barbara Bösinger. Zu ihr kam im Juli 1916 eine etwa 40jährige, mittelgroße, untersetzte Frau von richtigem Zigeunertypus, mit schwarzem, links gescheiteltem Haar, schwarzen Augen, brauner Gesichtsfarbe, und stellte sich mit fremdländischem Akzent sprechend als Marie Weißenbacher vor. Sie sah die Bösinger an und sagte ihr gleich, daß sie krank sei, daß sie sie aber, wenn ihr die Bösinger Geld und Lebensmittel gebe, gesund machen werde. Die Bösinger glaubte der „wundertätigen“ Frau aufs Wort und gab ihr 144 Kronen.

Kurze Zeit danach kam die Frau wieder und verlangte, um den Spuk zu bannen, ein Ei; die Bösinger folgte es ihr aus. Sie verrichtete dann Gebete über dem Ei, machte mehrmals das Kreuzeszeichen und zerschlug schließlich das Ei. Zum großen Erstaunen der Bäuerin zog sie aus dem Ei ein Büschel zusammengebundener Haare und redete der Bösinger ein, es seien Haare von der verstorbenen Mutter des Bösinger, die in der ewigen Seligkeit keine Ruhe finden könne, weshalb sie Gebete verrichten und Kreuzwege besuchen müsse. Um der alten Bösinger die Seligkeit zu verschaffen, bauche sie Geld. Die Bösinger händigte der Zigeunerin dieses Mal 1200 Kronen ein. Nun wurde sie die Gaunerin nicht los und nahm alles ganz gläubig hin, was ihr die Zigeunerin einredete. Einmal verlangte sie wieder ein Ei, zerschlug es wieder und brachte einen kleinen Totenkopf zum Vorschein, der im Ei enthalten gewesen sein sollte. Der Bösinger gruselte, aber sie glaubte auch das. In der Folge besuchte die Betrügerin die Bösinger im Verlaufe dreier Jahre an die dreißigmal, und bei jedem dieser Besuche verlangte sie unter den unglaublichsten Vorwänden und immer mit allerlei Hokuspokus Geld und wieder Geld, und die Bösinger, der die Frau eingeschärft hat, ja keinem Menschen etwas davon zu sagen, hielt ihren Mund und zahlte immer und bedenkenlos. Schließlich hat die Summe, die die Bösinger geopfert hat, wohl 180.000 Kronen ausgemacht. Der Bösinger ging schließlich das bare Geld aus, und sie mußte sich Geld aus der Kasse holen. Im Winter trug die Gaunerin eine braune Manteljacke, buntes Kopftuch und bunten Faltenrock, im Sommer Leibchen, bunten Faltenrock und Kopftuch.

Schließlich ist die Zigeunerin ausgeblieben, und statt ihrer kam eine zweite Frau, die die Mitteilung überbrachte, daß die Weißenbacher verunglückt sei und daß sie für sie beten müsse. Noch immer schöpfte die Bösinger keinen Verdacht. Die zweite Frau kam nochmals zur Bösinger und erzählte ihr, daß im Hause Bösinger ein Schatz verborgen liege, der unermeßlich sei und gehoben werden könne. Wie groß der Schatz sei, hänge von dem Willen der Bösinger ab; denn so viele Tausender sie ihr gebe, so viele Millionen werde der Schatz betragen. Ueber diesen Schatz zu sprechen, hat die zweite Frau der Bösinger ganz besonders streng verboten; sonst würde der Schatz verschwinden und nie mehr von ihr zu heben sein. Im vorigen Juni kam die Gaunerin zum letztenmal. Sie brachte die Freudenbotschaft, daß jetzt bald die Belohnung für die Gläubigkeit der Bösinger komme, da sie im Juli mit der Bösinger den Schatz ausgraben werde. Seit dieser Zeit hat sich aber die Nachfolgerin der Weißenbacher und diese selbst nicht mehr blicken lassen. Erst nach langem Warten erzählte die Bösinger von den Machenschaften der beiden Frauen, und so kam die Sache zur Kenntnis der Behörde, die nunmehr mit Nachdruck nach den Schwindlerinnen forscht. 

Diese Geschichte kam 1920 ans Licht. Ihr Vater lebte zu diesem Zeitpunkt noch, ihre Mutter war schon verstorben. Barbara (geb. 1881), heiratete 1923 Leopold Kainz aus Stetteldorf.
 

November 2020
Maria Knapp