von Amelie Hoffmann, geb. Nowotny

verfasst um 1975


Dazu möchte ich folgendes mitteilen. Es sind das meine ureigensten Erfahrungen.

Als wir heiraten wollten – 1924 – war es in Wien schon unsicher puncto Arbeit. Mein Mann war zu Ende des 1. Weltkrieges Kranführer im Arsenal. Er hatte das Glück in die Landwirtschaftsschule in Admont zu kommen, danach war er 2 Jahre auf einem Rittergut in Sachsen. Als dort die Inflation kam, kehrte er mit einem Karton voll 100.000-Markscheinen nach Wien zurück. 2 Jahre nicht leichte Arbeit für 1 Karton wertloses Papier (er konnte sich dafür wegen der Inflation gerade ein paar Schuhe kaufen). Ich hatte eben die Modistengesellenprüfung gemacht und fürchtete von einem Freitag zum anderen entlassen zu werden.

Durch eine Anzeige bekam mein Mann einen Schweizerposten im niederösterreichischen Weinviertel (Hohenwarth) zmit 30 Kühen. Von Jänner bis Juni 1924 fuhr ich jeden Sonntag zu ihm und lernte melken. Dann konnten wir noch 40 Schweine dazu betreuen, bekamen eine kleine Dienstwohnung und konnten heiraten. Nach einem Jahr kam das erste Kind. Aber so wie heute – Mutterschutz, Kinderwäsche, Geburtenbeihilfe – das getraute man sich damals nicht einmal zu denken. Am dritten Tag war man wieder bei der Arbeit und war froh, wenn man so viel Zeit aufbrachte, das Kind zu stillen und wickeln, denn die Tiere gingen bevor und man mußte alles mit der Hand machen. Kessel anfüllen, dann abstossen, mit Bütteln den Trank zu den einzelnen Boxen hintragen und einschütten. Dann vormittags ausmisten, einstreuen. Im Kuhstall fing man um 4 Uhr mit dem Melken an, dann rasch ins Kasino die Milch abliefern, einfüttern, ausmisten, Kälber tränken, je nach Jahreszeit Rüben zerkleinern, Heu und Stroh von der Scheune holen und den Kühen vorlegen, Gras oder Klee im Sommer – das mußte der Schweizer selbst mähen und wir hatten dafür ein Rössl – heimbringen. Dann noch Wasser geben, wir hatten damals noch einen Ziehbrunnen im Stall und Büttel zu schleppen. Extra Arbeiten gab es bei Geburten oder Krankheiten, wo man noch die Nachtruhe opfern mußte.

Wer da glaubte, am Sonntag ist Ruhetag, war im Irrtum, denn die Tiere hatten auch am Sonntag Hunger und mußten gemolken werden. Nur putzen mußte man am Sonntag nicht.

Nun, wir waren jung und hatten die Tiere gerne, so hielten wir durch, sparten und ließen uns von Zeit zu Zeit ein Stück beim Tischler machen. Einen Tisch, einen Kasten, ein paar Sesseln, bis wir nach 2 Jahren unser bisserl Einrichtung beisammen hatten.

Nach 2 Jahren, 1926, erfuhren wir von einem anderen Posten, bei einer Agrargenossenschaft als Stierhalter.

Man hatte von der Genossenschaft ein kleines Haus, 2 Joch Grund und längs der Wege Grasstreifen für Futter, für den Stier welcher der Gemeinde gehörte 1 Joch Wiese.

Als Gehalt bekam man für das Belegen einer Kuh 1 Schilling, 1 Laib Brot und für den Stier ¼ Metzen (= ca. 15 l) Hafer. Für das "Kaibelziehen" (Geburtshilfe ) 1 Schilling bar.

Zur Erntezeit legten die Bauern pro Joch 3 Garben an den Rand des Ackers, welche sich der "Halter" heimführen konnte, damit er für den Stier die nötige Einstreu hatte. Das Körndel gehörte zum Leben. Der Roggen für‘s Brot, Gerste für ein Schwein, der Hafer für den Stier.

Unser Dorf (Stratzdorf) war klein, 19 kleine und mittlere Bauern, von denen die "Größten"  drei bis vier  Kühe hatten, die meisten aber zwei.

Mein Viehbestand war das erste Jahr 1 Ziege, 1 Ferkel und 5 Henderln. Die bitterste Zeit war von unserem Eintritt bis zur ersten Ernte und bis im Garten die ersten Salatköpfe und grünen Bohnen gewachsen waren, und als gar die ersten Erdäpfel soweit waren, hatten wir die größte Not hinter uns. Das Ferkel wuchs heran, wer jedoch auf Fleisch wartete, täuschte sich. Das Ferkel – eine Sie – wurde meine erste Muttersau.

Auf den Feldern hatten wir Erdäpfel, Futterrüben und etwas Kukuruz, an den Rändern Bohnen, zwischen den Rübenzeilen allerlei Gemüse, Kraut, Zwiebel, Kohl und Kohlrabi angebaut. Der Mohn wurde unter die Rübensamen gemengt und beim Vereinzeln der Rüben da und dort eine Mohnpflanze stehen gelassen.

Im Hausgartel, es war nur klein, hätte man den Bedarf ja nie untergebracht – da hatte man nur die Sachen, die man gießen mußte, Gurken, Salat, Petersil und Paradeiser.

Als wir beim Dreschen so viel Weizen kriegten, daß wir einen Sack voll Kaisermehl eintauschen konnten – 80 kg, da glaubten wir nach der Notzeit, reich zu sein. Ich lernte als erstes, daß das Jahr 365 Tage hat und daß wir nur einen Zahltag im Jahr hatten. Wie man das auf einen Nenner bringt, bleibt einen selbst überlassen.

Nach 2 Jahren borgte uns der Vorstand (Plangl Vater), 400 S zum Ankauf einer Waldviertlerkuh. Ich bin ihm noch heute, nach über 50 Jahren, als unseren größten Wohltäter dankbar. Es war ja nur eine "Waldviertlerin", man konnte den Hut auf ihren Knochen aufhängen, aber man hatte endlich Milch im Hause. Das bisschen Ziegenmilch reichte ja nur für‘s Kind. Und alle Jahre ein Kalb. Mit dem und den Ferkeln von der Zuchtsau zahlten wir unsere Schuld wieder ab. Wir hatten weiß Gott nicht viel, aber in der Stadt war es noch schlechter. Von drei Brüdern meines Mannes waren zwei ohne Arbeit, ebenso der Vater. 
 

Andreas Nowotny
Juni 2012