Der Ausflug der Vereinigten Christen nach Kirchberg am Wagram, 1892

Um die Chancen bei der Wiener Gemeinderatswahl 1887 zu erhöhen, kandidierte die Christlich Soziale Partei zusammen mit mehreren deutschnationalen und antiliberalen Gruppen als Wahlgemeinschaft Vereinigte Christen (im Volksmund aufgrund ihrer Inhomogenität „Wurstkesselpartei“ genannt). Mit dem Namen „Christen“ wollte man auch den Gegensatz zum Judentum ausdrücken, in dem man die Repräsentanz des ausbeuterischen Wirtschaftsliberalismus erblickte. Ihr Spitzenkandidat Karl Lueger war zu dieser Zeit noch Mitglied der linksliberalen Demokraten.

Quelle und weitere Informationen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Christlichsoziale_Partei_(%C3%96sterreich) 

Wie weit der Antisemitismus bereits verbreitet war, kann man in nachfolgendem Artikel lesen:  

Am Ostermontag fand unter zahlreicher Betheiligung der Wiener Antisemiten ein Osterausflug nach Kirchberg am Wagram statt. Präcise 1 Uhr verließ der aus 12 Waggons bestehende Separattrain den Franz-Josefs-Bahnhof in Wien und langte mit einer ganz geringen Verspätung in Kirchberg am Wagram an, woselbst die Ankommenden von Seite der zahlreichst erschienenen Bewohner Kirchbergs auf das Wärmste und Herzlichste begrüßt wurden. Sehr befremdend wirkte die Thatsache, daß der Bürgermeister des Ortes sich zur Begrüßung nicht eingefunden hatte. Gesinnungsgenossen aus Krems, Absdorf, Horn, Langenlois, Fels u. A. hatten sich ebenfalls eingefunden und bereiteten dem erschienen Vertreter des Bezirkes im Landtage, Abgeordneten Bergani, sowie den Reichsraths-Abgeordneten Dr. Lueger und Muth eine stürmische Huldigung.

Im Orte selbst herrschte ein ungemein reges Leben und der Weg vom Bahnhofe bis in den Ort glich einem wahren Triumphzuge. Am Marktplatze begrüßte Abgeordneter Bergani als Vertreter der Gemeinde im Landtage die Angekommenen auf das Herzlichste in seinem Wahlbezirke, worauf Dr. Lueger namens der erschienenen Wiener Ausflügler in recht herzlichen Worten seiner Freude Ausdruck verlieh, einen Tag im Kreise der Kirchberger Antisemiten zu verweilen. In Neubauers Gasthaus am Marktplatze, woselbst eine Musikkapelle konzertierte, waren im Nu alle Räume bis aufs letzte Plätzchen gefüllt und suchten daher die übrigen Gäste die Gasthöfe Ehrentraut’s und Baumann’s auf, wo sie überall sich über die so ausgezeichnete Bedienung und Bewirthung sehr lobend äußerten.

Gegen 4 Uhr Nachmittag wurde unter Führung des hochw. Dechant Ignaz Hohmann ein Rundgang um den Markt gemacht, um dann wieder in Baumanns Gastwirthschaft sich zusammenzufinden. Nun wurden herrliche und begeisternde Reden gehalten, und zw. vom Abg. Bergani, Dr. Lueger, Gemeinderath Schneeweiß, Abg. Muth, Gemeinderäte Steiner, Jedliczka, Wichtel und Rauscher, welche alle darauf hinausklangen, wie sehr die Kirchberger auf Seite der Vereinigten Christen stehen. Der Antisemitismus kämpft ja gegen die Ausbeutung der Bauern die die jüdischen Zwischenhändler, die dem Bauer und Hauer ihre Erzeugnisse auf Grund künstlich niedrig gestellter Kurse abdrücken, um sie sodann bei höher gestellten Kursen dem Städter, den Konsumenten zu verkaufen. Ebenso fand das Treiben der Judenliberalen, gegen die es nur eine Abwehr den Antisemitismus, gebe, eingehend Beleuchtung.

Die beiden Volksvertreter Dr. Lueger und Bergani mußten wiederholt, besonders ersterer, das Wort ergreifen und wurden stets von der Versammlung stürmisch mit reichstem Beifalle ausgezeichnet. An das Komité des Ausfluges waren eine große Anzahl Telegramme und Zuschriften gelangt.

Um halb 9 Uhr wurde unter brausenden Hoch-Rufen auf die Abgeordneten Bergan und Lueger unter Vorantritt der Musikkapelle der Rückmarsch zum Bahnhofe angetreten. Eine große Anzahl von Gesinnungsgenossen Kirchbergs ließen es sich nicht nehmen, die Wiener auf den Bahnhof zu begleiten, woselbst unter Hochrufen auf die Kirchberger, die von diesen mit Hochrufen auf die Wiener erwidert wurden, die Abfahrt erfolgte.

Der in allen seinen Theilen auf das Glänzendste verlaufene Ausflug wird aber gewiß noch lange in der Erinnerung Aller bleiben, die Gelegenheit hatten, an demselben theilzunehmen.

Nach mehrfach gefallenen Äußerungen maßgebender Persönlichkeiten dürften die Wiener Vereinigten Christen in nicht zu ferner Zeit auch einen Monstre-Ausflug nach Krems veranstalten, welche Idee gewiß sehr zu begrüßen ist. So ein rechter Aufmischer thäte unserer vielfach in den Banden des Judenliberalismus liegenden Stadt wahrlich noth.

Quelle: Kremser Volksblatt vom 24.4.1892, veröffentlich in ANNO

 

August 2020
Maria Knapp